Seetage 28.2. - 2.3.2020 - Teil 1: Der Schalttag 2020 – ein Tag verloren, ein Tag gewonnen.

Irgendwie ist es witzig: wir kreuzen die Tasmanische See und fahren doch nicht nach Hobart in Tasmanien. Das mag daran liegen, dass die Termine in Melbourne und Sydney bereits fixiert sind: die Eier werden an Bord langsam schlechter, Obst gibt’s kaum mehr, Nudeln, Reis und das Tiefgefrorene sind in Ordnung. Also muss Neues an Bord genommen werden. Daher segeln wir jetzt nach Melbourne, dann Sydney und erst dann nach Hobart und den werden dann vielleicht einen tasmanischen Bär sehen, so es ihn noch gibt.

Alfred und Jaqueline haben zwei Kiwis in einem Zoo in Auckland vorgeführt bekommen. Da die Tiere scheu und nachtaktiv sind, werden sie im Dunkeln gehalten. Den Besuchern wird eingeschärft still zu sein, keinen Blitz zu verwenden, wenn sie Aufnahmen machen, die Ruhe der Vögel deren Zirkadianität zu respektieren. Umsonst: Besucher denken an sich und nicht an die Vögel. Sie wollen ein Bild mit ihrem Smartphone machen und entschuldigen sich dann, dass sie nicht den Blitz haben abstellen können, was vielleicht sogar stimmt. 

Angeblich sind die zwei Kiwis steril, sodass kein Nachwuchs im Zoo zu erwarten ist. Wenn sie aussterben kommt das einer nationalen Katastrophe gleich. Der Kiwi ist das neuseeländische Wappentier. Für Tasmanien ist es der tasmanische Bär, der kein Bär ist, sondern eine Tier sich in den Jahrhunderten der Abgeschiedenheit Tasmaniens so entwickelt hat.

Die Abgeschiedenheit und die Angst vor biologischen Importen macht manchen unserer Mitreisenden Probleme. Nach wiederholten Durchsagen, dass man weder Essen noch Trinken an Land bringen darf, sowie dass ein Verstoß dagegen mit 400 Dollar bestraft wird, wurde eine Frau mit einem teilweise gegessenen Apfel von einem Hund am Zoll aufgespürt. Klarerweise hatte nicht sie Schuld, sondern die Costa, die sie so früh zur Sammelstelle rief, dass sie ihr Frühstück nicht beenden konnte. Sie wollte den Apfel im Bus aufessen. Das ist vielleicht das Überraschendste an meinen Mitreisenden, dass sie Fehler nicht bei sich suchen, sondern beim Veranstalter. Wie kann das sein? Es sind doch alle erfolgreiche Menschen gewesen, die im Ruhestand reisen. Sie müssen in ihrem Leben viel gelernt haben, um hier zu sein. Oder mache ich etwas falsch indem ich zuerst den Fehler immer bei mir suche und meist auch finde? Zwar bilde ich mir ein dadurch viel gelernt zu haben, aber es macht meine Aggressivität und Durchsetzungskraft schwach.

 

Wenn ich träume bin ich ein Held. In meinen Träumen, so wie in der letzten, zusätzlichen Nacht des Schaltjahrs 2020, war ich Diener des ehemaligen FP-Obmanns H.C. Strache, der dieser Tage bekannt gab bei der Wienwahl mit einer lächerlichen Splitterpartei anzutreten. Im Traum beschloss er gemeinsam mit Phillipa aus der Quarantäne in die Stadt zu fahren. Ich kaufte einen bunten Strauß Gladiolen und überlegte im Traum, ob ich die Blumen einzeln in viele Vasen, oder als Busch in eine Vase stecken sollte. Ich steckte sie farbenprächtig in eine Vase. Die sogenannten „Tagesreste“ sind mir klar: Die Meldung H.C. Straches, dass er mit der DAÖ antreten wird und seinen Traum wiener Bürgermeister zu werden ins lächerliche ziehen wird; die Gladiolen, die ich als Sämy mit 16 endlich aus China gerettet wurde, ich für ihn auf einem Feld beim nahe des grazer Flughafens Gladiolen brockte und ihm brachte. Er schaute sie nicht einmal an und sagte auch nicht Danke, obwohl seine Mutter, Peter und ich seit Tagen seinetwegen unterwegs waren, weil er am Weg zum Flughafen Fußball spielte, seinen Rucksack mit allen Ausweisen abgelegte, der gestohlen wurde. Das Ende des Traums kann ich gut verstehen: der HBP kommt zu Besuch und ich rede ihn mit „Sascha“ an, wie es sein ehemaliger Kollege und mein Freund Helmut Kasper immer macht, wenn er von A. van der Bellen spricht. Jetzt begänne in einer psychoanalytisch ausgerichteten Therapie erst die Traumarbeit. Die Tagesreste sind abgeschilfert, jetzt muss mit Hilfe der freien Assoziation die Bedeutung gefunden werden, die es für den Träumenden hat. Dabei spielen dessen Assoziationen ebenso eine Rolle, wie die Reaktionen des Analytikers und der Wunsch des Klienten diesem etwas Spannendes zu bieten. All das mache ich hier nicht. Meine Assoziation ist: es gehtauch am Schiff darum „bedeutend“ zu sein. Leser*innen aus der Heimat werden das verstehen: es gibt fast kein vernichtenderes Urteil als den Vorschlag den wohlverdienten Ruhestand zu genießen. Die alten Römer wussten das schon: wenn ein Senator, meist um sein Leben zu retten (was oft misslang), seine öffentlichen Ämter niederlegen musste, um sich auf seine Landgüter ins Tusculum zurückzog, so nannte man das privare, berauben. Der öffentlichen Ämter berauben, der Bedeutung in den Augen anderer Menschen verbunden mit dem Entzug der Anerkennung. Am Schiff erleben wir das: jeden Abend gibt’s Auswahlen, gestern war’s die Wahl der Miss Kreuzfahrt. Maria, eine Spanierin, die als zwölfjähriges Kind von einem Betonblock von der Ladefläche eines Lastwagens getroffen wurde und seither von der Hüfte abwärts gelähmt ist, nahm teil. Die Animateure forderten wiederholt Marguerite auf als Verliererin teilzunehmen, wie sie es bei mir vor ein paar Tagen machten. Sie verweigerte mit meiner Hilfe. Es ist erschütternd und so sehr ich es Maria gönne, dass sie Miss Kreuzfahrt wird und so sehr ich anerkenne, dass es für sie eine Freude sein muss – was passiert mit den zwei alten Damen, die im Bademantel auf die Bühne kommen, um zu verlieren? Wie geht’s denen nachher? Wie dem auch sei: der Wunsch nach Anerkennung, auf der Bühne zu stehen und von den anderen Greisen wahrgenommen zu werden, ist so stark, dass bei jeder Show ein paar von uns, die deswegen in den ersten Reihen sitzen, sich von den Künstlern auf die Theaterbühne schleppen lassen, um dort ungelenke Bewegungen zu machen, die die Akteure in einem umso besseren Licht erscheinen lassen und in mir Fremdschämen auslösen. Der Wunsch nach Anerkennung wird grob missbraucht: davon leben die Animateur*innen, denen man die Verachtung ansehen kann, die sie uns entgegenbringen, wenn man sie zufällig bei einem Landgang nicht als Begleiter*innen, sondern als Privatpersonen (also ihrer Funktion beraubt) trifft. Da gibt’s von Denselben, die gestern noch zuvorkommend waren, keinen oder bestenfalls erwidern sie meinen Gruß.
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