Das Schwierigste ist man selbst. Was habe ich mir nicht alles vorgenommen? Abendessen streichen, mehr Sport, tanzen lernen und so weiter. Jetzt sind 17 Tage vergangen und entweder ich wäre immer böse auf mich – denn wir gehen täglich Abendessen und ich nehme eindeutig zu – oder ich freue mich über das, was ich lerne. Ich habe einen Personal Trainer Devin, der meine Schulter öffnet und sehr lacht, wenn ich sage, dass ich entweder einen BH kaufen, mich abfinden, oder trainieren kann (wobei ich letzterem keine große Chance beim Brustumfang einräume), ich mache dauernd Sprachtraining mit Jedem, den ich treffe und ich habe viel Freude. Das Gewissen aber, das Gewissen ist unzufrieden.
Gewissen merkt man nur, wenn es schlecht ist. Gutes Gewissen sei ein gutes Ruhekissen, aber das merkt man nicht. Angeblich schläft man auf diesem Kissen gut. Da ich aber nicht weiß was guter Schlaf ist und sehr zufrieden bin, wenn M. und ich um fünf Uhr erwachen und miteinander reden und dann wieder einschlafen, so weiß ich auch nicht was ein gutes Kissen ist, außer, dass ich gern einen Kaprizpolster (gibt’s das Wort überhaupt noch) habe, der nicht mehr als 40x40 cm groß sein soll und möglichst nur ein wenig gefüllt. Das ist ein gutes Ruhekissen. Ob das Gewissen eines ist, ist unbekannt.
Jetzt aber zu den Vorsätzen: jeder weiß, dass die vor allem dazu da sind, um ein schlechtes Gewissen zu erzeugen. Das stimmt sicher. In meinem Fall sowieso. M und ich sind beide zu dick, ein Bekenntnis abnehmen zu wollen jagt das andere. Alles geht in die falsche Richtung. Wenn ich abnehmen will, esse ich stattdessen mehr und das Auslassen von Mahlzeiten ist bei mir durch das Vorbild des Zeit im Bild Sprechers mit dem unmerkbaren bosnischen Namen unmöglich. Der nahm über 20 Kilogramm ab, obwohl er nicht dick war und wurde danach zum Rundfunk versetzt. Keine Karriere, wenn man mich fragt. Vor allem nicht nachdem man sich Monate gequält hat und endlich den Erfolg sieht – dann das.
Wir haben gestern den am Schiff erzeugten Mozarella für sechs Personen gegessen, eine schlimme Nacht mit Aufwachen, Reden und anderen körperlichen Reaktionen erlebt über die ich im Einzelnen nicht sprechen will und haben es genossen. M. hat bei der heutigen Messung des Bauchumfangs weniger als einen Zentimeter verloren, sie schuldigt den Hummer in Barbedos und den gestrigen Mozarella an. Ich vermute, dass das Wasser aus dem Unterhautfettgewebe reduziert wurde und daher der Umfang gleich bleibt.
Eine kleine Personenerwähnung noch: Phillipa, die südafrikanische Israelin mit wunderbarem Geschmack ist wie die Wiedergeburt meiner Tante. Sie spielt Bridge, natürlich als ehemalige Bridgemeisterin; sie spricht perfekt Englisch, Hebräisch und Französisch. Sie empfiehlt mir den Vortrag eines Rabbiners aus Israel in Hebräisch zu hören, in gewisser Weise nur, um sich zum wiederholten Male zu wundern, dass ich kein Hebräisch spreche. Sie hat es nach ihrer Ankunft in Israel in ihrem 11. Lebensjahr gelernt und es war ihr als ob es schon immer in ihr gewesen sei. Es kam einfach aus ihr heraus. Wenn sie das sagt zeigt ihr großer Mund zwei Reihen perfekt gepflegter Zähne und ich merke, wie ich den Rauchgeruch vermisse, den meine Tante Edith ununterbrochen ausströmte, weil sie 60 Craven A pro Tag rauchte. So wie Salomons Vater mit dem ich gestern übers Rauchen sprach. Salomon und ich wurden einig, dass es kein Foto unserer Eltern gibt auf dem nicht alle Menschen rauchen. Ich erinnere ein Foto, das es in der Biographie gibt in dem mein Vater in Badehose und Unterleibchen meine zweijährige Schwester an der Hand führt. Im linken Mundwinkel steckt eine filterlose Zigarette. So ändern sich die Zeiten. Phillipa trägt eine schwarz-weiße Kombination, ein Musselinestoff, die knielange Jacke hat ein schwarz auf weißes Muster mit geknickten Linien, am Oberteil ist das Muster umgekehrt und der Schal ist halb-halb. Die Lippen sind rot, die von der Sonne gegerbte Haut glatt und braun, sie ist schlank und hat große Augen, die sie mit Maskara, Wimperntusche und Lidschatten unterstreicht. So wie Adam, einem Witz folgend, Gott fragt wieso aus seiner Rippe eine nicht so schöne Frau wurde. Seine Antwort lautet: „Sie wird sich halt schminken müssen!“ (Es folgt sicher bald ein umgekehrter Witz, der die gender equality wiederherstellt.)
Wie dem auch sei – lassen Sie uns zum Gewissen zurückkommen und über Hans Jonas nachdenken. Ich lese sein Buch über die Ethik der Verantwortung. Er schreibt zum Beispiel, dass wenn die Menschheit die Unsterblichkeit erfindet, jeder Nachwuchs gestoppt werden muss. Dann entstünde eine zugrunde gehende Greisengesellschaft. Hier am Schiff kann man studieren welche Nachteile damit verbunden wären: Ängstlichkeit, Extraversion jedes Mangels, Gier (Wobei die Passionsfrüchte ein gutes Beispiel sind. Gestern gab’s diese zum ersten Mal. Menschen trugen Pyramiden davon hinaus und schon wenige Minuten nach Eröffnung des Büffets gab es keine mehr.) und vor allem ein außerordentlich geringes Gemeinschaftsgefühl. Wie D. Lessing in ihrem Buch: Shikasta (aus dem Zyklus: Canopus in Argos) meint, wird das Gemeinschaftsgefühl umso geringer, auf je mehr Menschen es verteilt wird. Daher sollten wir in Zeiten, in denen die Lebenszeit ansteigt, wissen, dass damit die Lebenschancen der Jugend reduziert werden. Im Grunde protestiert die Jugend am Freitag dagegen. Mag auch sein, dass der Umgang mit den Flüchtlingen letzten Endes eine Auseinandersetzung zwischen der afrikanischen Jugend und der überalterten Bevölkerung Europas ist. Dagegen spricht, dass selbst „junge“ Staaten wie Thailand, oder Australien noch ungleich inhumaner mit den Ankommenden sind. Die Australier schicken sie in Lager, aus denen sie nie mehr hinauskommen. Suizid, oder lebenslange Haft sind deren Alternativen. Thailand nimmt keine Boote auf, sondern zieht sie weit hinaus ins Meer, wo die Menschen verdursten und verhungern.