Man könnte glauben, dass ich all mein Pulver verschossen habe, was Seetage betrifft. Weit gefehlt. Einerseits muss der Text nicht immer so lang sein wie gestern, andererseits habe ich von meinem Ältesten Samuel den Hinweis, dass er die Personen, die ich treffe, gerne liest. Na denn.
Der Morgen so ruhig wie er nur nach einer Aufregung sein kann. Unsere wiener Freunde beleidigt, weil sie auf uns gewartet haben, nachdem der gestrige Ausflug abgesagt wurde. Sie saßen, nach Alfreds Ehre als Harley Fahrer, in der Grand Bar, da waren wir schon am Weg nach Bridgetown. Irgendwie war’s so besser. Alfred hätte nicht so weit gehen können, wir hätten miteinander ein Taxi genommen und Hummer mag er auch nicht. Aber allzu oft sollten wir das nicht mehr machen, sonst wird er ernstlich böse. Dann hätten die beiden noch gestritten, weil Alfred sicher mit uns ins Meer hätte wollen und Jaqui es ihm verboten hätte. Also wäre es nicht der Tag des Glücks geworden, der er war.
Marguerite hat viel zu tun. Heute hat sie Klavier geübt, weil sie um 12 Uhr Stunde hatte. Sie lernt bei einer Bulgarin Jasmin viel Neues, sagt sie, Ich sitze bewundernd im Publikum der Piano Bar und vergleiche meine Fähigkeiten mit den ihren und bin sehr stolz auf sie. Verstehe nichts und höre doch wie Jasmin ihr neue Türen öffnet.
Im 9. Stock nehme ich den ersten Sprachkurs: wir setzen uns zu Ennio und Novella und essen mit den Italienern. Ein Herr, der etwas später hinzukommt, isst zwei größere Stücke Käse mit einem Stück Pizzabrot. Nichts dazu. Nichts Warmes. Zwei Stück Käse. Er ist 72 Jahre alt, erlitt letztes Jahr einen Schlaganfall und war drei Monate im Koma. Er war rechts halbseitig gelähmt. Drei Monate haben ihn die Krankenschwestern fünf Mal täglich gedreht, gefüttert, gewaschen, seine Frau (die heute nichts isst) hat ihn besucht und da sitzt er und isst Käse. Ennio hatte im letzten Sommer eine Bypass Operation. Novella zeigt ein Bild, auf dem er verkabelt im Bett liegt. Ich verstehe nicht sehr viel von dem was geredet wird. Ennio macht einen Witz über die Halbseitenlähmung: man muss den Pimmel schnell auf die andere Seite schupfen, damit er funktionsfähig bleibt. Wir lachen. Novella spricht vor allem mit Marguerite. Sie weiß inzwischen, dass ich nur manches verstehe und passt genau auf wann ich so tu als ob. Für mich ein Sprachkurs. Marguerite hatte 7 Jahre Italienisch in der Schule und maturierte darin. Ich konnte bisher nur Essen bestellen und in der Oper ein wenig verstehen. Zu Mozarts Zeiten war Italienisch die Sprache der Musik, so wie es heute Russisch ist. Die Italiener an Bord finden es noch immer ausreichend ihre Sprache zu können. Das zeigt sich als Ennio erzählt, dass er im Militär Gebirgsjäger war und Marguerite ihn fragt, ob er in Österreich Schi gefahren ist. Er reagiert als ob die Frage komisch gewesen wäre. Natürlich in Italien antwortet er und zählt südtiroler Orte auf.
Nach der Siesta geht Marguerite zum Chor. Ich hatte mir vorgenommen zum Tanzkurs Walzer 3 zu gehen und es wäre sicher nötig. Aber das Wetter ist schön, 24 Grad warme milde Luft und so gehe ich auf Deck 9 zum Schwimmbad. Dort treffe ich Salomon und Michelle. Sie sprechen gutes Französisch und sonst nichts. Michelle kann ein paar Worte Hebräisch, ungefähr so viel wie ich, vielleicht ein bisschen weniger. Zu meiner Verwunderung reden wir (ich radebrechend und mit tausend Fehlern) fast eine halbe Stunde bevor ich in das Meerwasserschwimmbecken eintauche, das 28 Grad hat. Michelle sagt, dass sie weder raucht noch trinkt. Alle Krankheiten kommen durch den Mund, meint sie. Ihre „Sünde“ sei das viele Reden. Bei allem weiß sie wie man’s machen muss: wo man in Tel-Aviv einkaufen soll, wo man die Busfahrkarte bekommt, und dass der Bus für Pensionisten nur die Hälfte kostet, sogar mit welcher Linie man fliegen soll, vor allem, wenn man länger als drei Monate bleiben will. Salomon ergänzt nur, wenn ich etwas nicht verstehe und kennt die besten Lokale im Umkreis unserer Wohnorte. Seine Empfehlungen und vor allem die Einladung zum Feigenschnaps bei ihm zu Hause werde ich gerne folgen. Unsere Vorliebe für den Schnellimbiss Sabich Ecke Frischmann/Ben Jehuda verbindet. Nur als er mir erklären will wie man leben muss, um lange und gesund zu leben drohe ich ihm an, dass ich ihm geschäftliches erkläre, so wie er mir medizinisches. Ein Sprachkurs. Ich erinnere mich, dass mein verehrter Chef Prof. Kurz in der Klinik englische Konversation gegen Bezahlung machte. Ich konnte das nicht, weil mich die Lehrer verbesserten und ich dadurch die Freude verlor. So wie ich meine Cousine in Israel ersucht habe mich nicht mehr im Hebräischen zu verbessern, nicht einmal, wenn ich weiblich und männlich vertausche (was ich praktisch immer mache). Es freut mich, dass Salomon und Michelle mich nicht verbessern. Als ich ihnen mein Lieblingsbrot in Tel Aviv, Baguette mit Mohn erklären will und keiner der Beiden das hebräische Wort für Mohn verstand, verweise ich auf Opium, weil es doch aus derselben Pflanze kommt. So hanteln wir uns durch. Statt schlecht Walzer zu tanzen, zwei Stunden Konversation – irgendwie soll ich das machen, was ich kann und nicht immer wozu mir die Voraussetzungen fehlen. Mache ich Zweiteres dann werde ich traurig, weil ich versage.
Am Balkon zu sitzen und das zu schreiben – welche Freude: ein weicher, dünner blauer Baumwollanzug bedeckt mich, die Möwen haben kürzlich aufgehört Fische zu jagen, oder wir sind weiter vom Land entfernt als den ganzen Tag an dem wir ihnen zuschauen konnten. Die Sonne geht langsam unter, weiße Streifenwolken stehen am Himmel, manchmal kann ich eine Verdunklung sehen, eine Wolke in der mehr Wasser gebunden ist als in den anderen. Ich trinke warmes Wasser mit einer halben Zitronenscheibe, das ich vom Nachmittagsbüffet mitgenommen habe.