Stress lass nach. Bis ½ 2 Aviator geschaut. Die wunderbare Geschichte von Howard Hughes, den ich eigentlich von Leon Uris‘ Roman kenne und von Citizen Kaine. Der Film mit Leonardo di Caprio zeigt ihn mir erstmals als begabten Schauspieler. Wie die Amis Genie und Wahnsinn darstellen ist zumindest komisch, aber vielleicht sind die Geisteskrankheiten in Amerika anders, als in Europa. Dann um sieben Uhr Tagwache: Duschen, frühstücken, Antreten zum Ausflug in Messina. Eine Wallfahrtskirche und eine alte, römische Villa sind zu besichtigen. Überall pünktlich. Ulrike, Lehrerin in Ruhe, begrüßt uns. Streng, blond, sehr ausführlich, spricht zumeist über das, was wir nicht sehen, wie die Bevölkerungszahl von Sizilien, oder die Küstenlänge – vielleicht doch Mathematiklehrerin.
Manchmal sind Reiseberichte läppisch. Meine sind das sicher. Josef Roths waren es nicht. So unterscheidet sich Dilettantismus von Genie. Alles dazwischen, wie gutes Handwerk steht mir auch nicht zu Gebote. Spaß macht’s – angeblich auch kein gutes Zeichen. Echte Schriftsteller quälen sich in Kaffeehäusern. Leere Seiten starren sie an, sie können schon den ersten Satz nicht schreiben. In den Filmen werden gute Seiten Papiers zerknüllt und weggeworfen, um das Leid des Schreibens zu zeigen. Peter Turrrini schreibt jeden Tag acht Stunden und wirft nächsten Tags 80% weg, wie er sagt. Das alles ficht den Dilettanten nicht an. Er schreibt mit Freude, er will sich mitteilen und findet sein Geschriebenes auch noch gut. Wenn Sie bis hierher gelesen haben, dann sind Sie mein liebster Gast. Sie scheinen einen Dilettanten zu mögen, oder sind vielleicht mit mir verwandt?
Der Ausflug von Messina nach Tindari und Patti war wunderschön. Weder interessierte mich die Wallfahrtskirche, die 1956 erbaut wurde, zu Ehren einer schwarzen Madonna, die der Legende nach im 7. Jahrhundert aus einer Holzkiste eines am Strand festliegenden Schiffs von Matrosen geborgen wurde und seither Wunder über Wunder auf der Insel wirkt; noch will ich die Ausgrabungen einer großen römischen Villa, die eher einem Handelsplatz geähnelt haben muss, sehen wegen derer die Autobahn verlegt wurde, weswegen sich die Villa direkt unter einer Autobahnbrücke befindet.
Die Nebenerscheinungen sind es, die ich mag: das Licht in der Früh, wenn wir zur Kirche hinauffahren. Der Blick über das thyrennische Meer Richtung der liparischen Inseln. Die Vegetation am Rande der Straße: Die Bougainville blüht, der Winterjasmin verblüht hier schon, der Winterweizen ist einen halben Meter hoch und die alten Olivenbäume drehen sich um die eigene Achse. Das kleine Kaffeehaus gegenüber der Kirche verkauft einen wunderbaren, schwarzen Kaffee und dazu eine Rolle harten Teigs mit Ricotta gefüllt. Ulrike isst das natürlich nicht, aber bestellt es für uns. Sie ist schlank, faltig und blond. Nach dem Besuch der Kirche vor mehr als 50 Jahren hat sie ihren Mann getroffen. Sie sieht es als Wunder an und dankt es der Gottesmutter.
Gegenüber der römischen Villa gibt’s ein kleines Auto von dessen Ladefläche Früchte verkauft werden. Ich nehme ein Kilo Äpfel, ein Kilo Kiwi. Die Äpfel rot, weich und allzu mürbe, die Kiwi hart. Was will man für drei Euro? Marguerite kauft einen Bonsai. Da am Schiff ein Verbot gegenüber Pflanzen mit Erde besteht, wird er ihr an der Eingangskontrolle abgenommen. Sie hat ihn hergezeigt.
Dann aber: Essen im Freien auf Deck 9 des Schiffs achtern, mit Blick auf Messina, seine Bergkirche, die Kathedrale des hlg. Benedikts, seine kleinen und großen Kirchen; Siesta und baden im Whirlpool während wir die Straße von Messina verlassen. Warum die Sizilianer glauben sollen, dass die italienische Revolution sie befreit hat – wie Ulrike erzählt, statt dass sie annehmen, dass sie nicht mehr von den Aragonesen, oder den Bourbonen besetzt sind, sondern eben von den Italienern, muss ich nicht verstehen. Tatsache ist, dass es einen Plan für eine Brücke über die Straße von Messina gibt, der seit Jahrzehnten nicht ausgeführt wird. Stattdessen wurden rot-weiße Pfeiler aufgestellt, die die Stelle bezeichnen an der die Brücke kommen könnte. Sie stehen seit Jahrzehnten dort.
Am Abend dann ein kleines Abendessen und hui ins Bett – morgen geht’s nach Rom. Jeder Tag ein Vergnügen und – siehe oben – da ich nicht wirklich Schreiben können muss und es niemand lesen muss, macht der Bericht umso mehr Spaß.