Es gibt Menschen, die finden einen Seetag langweilig. Mir vergeht die Zeit zu schnell. Morgens der Sonnenaufgang auf Deck 11: es ist gesperrt, junge phillipinische Männer schrubben und putzen das Deck. Woher die kleinen Steinchen kommen, die sich an den Ablaufsieben sammeln kann ich nicht sagen. Sie nehmen sie mit Tüchern auf. Bei mir geht’s dann weiter: Fitness, Frühstück am kleinen Balkon, lesen und dabei einschlafen, Mittagessen und Siesta, hui – der Tag ist fast zu Ende. Aber dann kommt’s erst: Abendessen, tanzen mit Lifemusik, Versäumen des italienischen Fests, Film schauen – und morgen ist schon wieder ein Ausflug in Messina geplant. Treffpunkt 07:45 sharp.
Zwischen Bari und Messina liegt nicht nur die Straße von Messina, sondern auch noch ein Seetag. Es scheint viel los zu sein, die Bordzeitung ist voll von Angeboten, wie Fitness, Unterhaltung und den verschiedensten Mahlzeiten. Als guter Tourist streiche ich manche Angebote an. Ich will da und dorthin, Quiz würde mich interessieren, Tanzgruppen und sogar spezielle Menüs.
Dann kommt alles anders: in der Früh sehe ich Aurora, die Morgenröte über Albanien aufgehen und will hinaus. Ich drehe Runden auf Deck 11 und warte von halb Sieben bis Sieben auf die Sonne. Als sie aufgeht, kann ich nicht mehr hinsehen. Eine Metapher aufs Leben, ich strebe etwas an und wenn es gekommen ist, ist es zu stark. Fast wie Faust, der den Erdgeist herbeirufen kann, aber dessen Gegenwart nicht erträgt. Zu großer Vergleich, bei mir ist’s nur die Sonne, die über den schroffen Kalkbergen aufgeht deren Strahlen mich blenden.
Im Fitnessraum beginnen Deutsche und Schweizer das Morgenregiment. Schon beim Eintritt fragt mich einer, ob ich weiß wo die Tücher zur Reinigung sind. Der Desinefktionsspender ist leer, oder gibt jedenfalls nichts her: „Dann mach‘ ich’s halt mit Wasser,“ sagt der Schweizer resignierend. Mir vergeht bald die Lust, die Geräte habe ich gestern so viel verwendet, dass ich Muskelkater im Schultergürtel habe und das voreingestellte Radfahrprogramm ist eindeutig zu schwer für mich.
Am Balkon ist Sonne. Wie schön. Marguerite kommt von ihrer Massage, Frühstück wird gebracht, ich esse seit Jahrzehnten wieder einmal Frosties – zwei Schüsseln voll. Herrlich. Alles funktioniert nicht: es gibt kein zusätzliches heißes Wasser, der Room Service hebt das Telefon nicht ab – also kann man auch nichts nachbestellen, im Fitnessraum ging der Fernseher und das Radio nicht – Auszeit.
Danach legen wir uns noch mal nieder. Die Atmung wird synchron, wir schlafen Wange an Wange ein. Nun wird gelesen: die Erinnerungen der René Schröder – der Ausnahmewissenschafterin. Ich bekomme Depressionen, wenn ich das lese. Glücklicherweise habe ich nur die Leseprobe runtergeladen und höre auf.
Wir gehen in Whirlpool im Freien. Es stürmt, ist kalt, das Wasser warm und wir sitzen zwei Stunden und plaudern über die Erfindung der Uhr, die Bedeutung der Zeit und allerlei.
Zu Mittag gibt’s zwanzig Meter langes Buffet. Ich gehe die Strecke ab, Marguerite musste sich niederlegen. Sie hatte vorher Algendetoxbehandlung, die sie sehr mitnimmt und entwässert. Ich esse gegrillte Tintenfische mit Tomatenreis, Zucchini mit Zwiebel und Karotten mit Rosinen. Da es ich im großen Essraum zu viel Gerüche einatmen müsste, die vom Essen und den Essern stammen, nehme ich mein Essen ins Freie, schau aufs Meer und bin glücklich. Den Philosophen Hans Jonas, den ich dazu lese, verstehe ich schwer. Aber er schreibt in der Einleitung zur Philosophie der Verantwortung ohnehin, dass er hofft, dass er es dem Leser nicht allzu schwer macht. Ich habe allzu lange keine Philosophie gelesen und werde wohl noch ein bisschen brauchen bis ich es verstehe.
Der Nachmittag geht schnell vorbei: Siesta und dann suchen wir unsere Freunde. Die finden wir nicht, aber stattdessen Menschen, die so wie wir schon auf einer der anderen Kreuzfahrten in den letzten Jahren waren. Wir reden über den Tod und das Sterben. Wir haben uns damit beschäftigt und wissen doch, dass das im letzten Moment nicht viel nützen wird, so wie man sich auf Schmerz nicht vorbereiten kann.
Die Abendessensfrage kommt auf. Wir wollten nicht Abendessen, aber da Marguerite zu Mittag nichts gegessen hat, ist das natürlich unmöglich. Also gehen wir mit allen anderen um 18 Uhr zum Speisesaal. Viele Menschen warten vor den geschlossenen Türen. Der Chef de range weist uns einen Tisch zu, an dem es nur einen Platz gibt. Österreicher, die nebenan sitzen meinen, dass der Tisch neben ihnen frei sei. Das wird verneint. Wir gehen einen Stock hinauf – auch dort bekommen wir nicht den Tisch, den wir wollen. Erschöpft von den sinnlosen Auseinandersetzungen verlassen wir die Stätte. Im kleinen Samsara Speisesaal ist alles leer. Es würde 15.-€ zusätzlich kosten. Das ist den Reichen zu viel und wir sind nicht reich, also genommen. Allerdings hat heute Arun Dienst, den wir von gestern kennen. Er fragt den Supervisor und wir bekommen unseren Lieblingsplatz am Fenster und das Spezialmenü kostenlos (wenn man das so sagen kann). Wunderbar. Wir essen sehr gut und trinken Rosewein, der beste aus der Reihe der sizilianischen Weine, die das Schiff hat. Eine Weinkarte gibt’s nicht mehr, aber der Wein ist süffig und trinkbar.