Sünden, Sünden bringt das Leben. Beim kinder- und jugendärztlichen Kongress 1986 verleitete mich der Teufel in Gestalt Dr. Klabuschniggs zu einer solchen. Ich sollte eine Installation zur „Haut“ machen. Georg Schönauer, Individualkünstler und Clown, einer der Verehrer Marguerites, half mir. Er suchte Dias raus, die auf einer Leinwand projeziert quasi „behandelt werden“ sollten. Leider war das erste Dia die religiöse Darstellung der röm.-kath. Gottesmutter.
Wie Sie vielleicht schon wissen, bin ich Jude. Mir sind nach den Gesetzen meiner Religion „Bilder“ verboten. Wie es dem röm.-kath. Christentum gelang die Zehn Gebote so umzuändern, dass ihre Gläubigen Bilder anbeten dürfen, ist eine andere Geschichte . Sie haben das 2. Gebot gestrichen („Du sollst Dir kein Bildnis machen und Dir Gott nicht vorstellen. Du sollst nicht niederknien vor Götzenbildern!“) und dafür das 10. geteilt: so kam das Unzuchtsverbot in die christliche Bibel, aber das Bilderverbot verschwand.
Die Darstellung der Gottesmutter mit ihrem Kinde Jesu ist den röm.-kath. Christen heilig. Der Respekt vor anderen Glaubensrichtungen und ihren Praktiken ist mir Gebot. So mussten mich mehrere Teufel umgeben, um mich zu dem Schandwerk zu verleiten, dass mich fast meine medizinische Arbeitsmöglichkeit gekostet hätte.
Ein Workshop bei dem kinder- und jugendärztlichen Kongress in Eisenstadt. Gunter Weißenbacher, der mit mir zwei Sommerlager der Familienpannenhilfe geleitet hatte und mir vertrauender, väterlicher Kollege geworden war, lud mich ein diesen Workshop abzuhalten. Marguerite gab mit Georg Schönauer zur Seite. Dieser war in sie verliebt und dachte vielleicht daran mir einen Ulk zu spielen. Weißenbachers Oberarzt Klabuschnigg hasste seinen Chef von Herzen. Der kleingewachsene Gnom Gunter mit viel Schläue und hohem Ethos und der große Oberarzt geldgierig, national ausgerichteter Militarist – beide wussten was sie voneinander zu halten hatten. Klabuschnigg wollte mir, dem anderen Zwerg schaden. Schon, um Gunter zu kränken, vielleicht war er auch einfach eifersüchtig, dass wir miteinander das Sommerlager geführt hatten.
Die Vorbereitungen des Workshops waren schlecht. Georg Schönauer kam immer wieder mal in die Klinik, hatte nie das Versprochene mit, lachte viel und nahm die Sache nicht ernst. Nie sah ich die Bilder, die er zeigen wollte, nie war unsere Absprache konsistent.
Der Tag kam: Am Nachmittag der Workshop. Die angesehensten Herrn der österr. Kinder- und Jugendheilkunde im Raum. Offenes Atrium. Georg versteckt sich hinter dem Diaprojektor. (Das gab es 1986 noch: Diaprojektoren mit Schlitten.) Ich stehe allein vorne. Das Bild der Gottesmutter mit Kind erscheint. Es bleibt stehen. Horror. Die Projektionsfläche eine Leinwand. Ich ersuche, verabredungsgemäß, mit Farben die „Kranke“ zu behandeln. Niemand rührt sich. Ich erkläre die Spielanleitung, ersuche Georg weiterzuschalten. Es gab, wie sich nachher herausstellen sollte, noch zirka 10 Diapositive mit Farben und Formen. Er hat mich angeblich nicht gehört. Das Dia blieb stehen.
Prof. Kurz (mein neuer, damaliger Chef und Christ) sieht meine Verzweiflung und springt ein Held wider besseres Wissen und wider seine tief empfundene Religiosität, auf und beginnt das ihm heilige Bildnis zu beschmieren. Horror für ihn und für mich. Es dauert ein paar Minuten. Im Publikum Entsetzen.
Klabuschnigg, 1. Teufel, lacht und feuert Kurz an. Weißenbacher ist erst still, dann fragt er nach anderen Dias. Ich reiche Kurz Farben.
Als das Bild verschwindet bleibt eine beschmierte Leinwand. Ein in einen ehemals weißen Patientenmantel gekleideter nun mit Farben über und über beschmierter Roland Kurz steht auf der „Bühne“. Die anderen Dias werden nicht mehr beachtet, die restlichen Farben bleiben im Kübel. Klabuschnigg lacht, Weißenbacher ist entsetzt. Der strenggläubige röm.-kath. Primar für Neonatologie aus Linz Hohenauer verlangt meinen sofortigen Ausschluss aus der Kinderärztegesellschaft (was einem Berufsverbot, jedenfalls einer Unmöglichkeit an irgend einer Klinik zu arbeiten, gleichgekommen wäre) – diese Demarche wird in der Vorstandssitzung am nächsten Tag abgelehnt. 35 Jahre später reden Ingo Mutz und ich über meine Fehler. Mutz ist gütig mit mir und lobt mich in seiner Art oft. Güte wurde im Laufe der Jahre zu einer Charaktereigenschaft von ihm. Da fast alle Menschen dümmer und ungebildeter sind, als er, muss er mit den meisten gütig sein, sonst wäre er nur Richter und Henker in einer Person. „Das war Dein größter Fehler,“ sagt er: „das tut mir bis heute weh!“
Ich nahm mehr wahr, als ich umsetze. Ich habe Georg Schönauers Ablehnung und seine Zuneigung zu Marguerite gespürt. Ich habe Klabuschniggs versteckten Zorn gespürt. Wieso bin ich doch wie Othello auf Jago reingefallen? Jago singt in seiner Auftrittsarie, dass er Othello niemals sich als Freund wünschen würde. Er will ihn vernichten. Ich habe damals gespürt, dass ich Schande über mich bringen werde, Schande, die wie man an dem mir so gewogenen Ingo Mutz sieht, nie abwaschbar ist, Schande, die mich begleiten wird so lange ich lebe und – wenn die röm.-kath. Christen Recht haben – auch noch in jenem Leben. Vielleicht bin ich blind, wie die Kirche meint, indem ich Seine göttliche Erscheinung in Seinem eingeborenen Sohn Jesus nicht bekenne? Vielleicht bin ich blind, weil ich heilige Mutter Kirche nicht anerkenne? Vielleicht bin ich blind, weil ich die körperliche Auferstehung Mariens, jenes Dogma aus 1854 nicht als Wahrheit bekenne? Das alles wäre schon schlimm genug. Aber selbst vor dem Herrn, den ich bekenne, bin ich schuldig geworden: Respektlos gegenüber einer anderen Religion, die mir nichts getan hat. Historisch schon, aber mir nicht. Keine Analogie kann ich aus der hebräischen Bibel auf die Beleidigung der lokalen Religionen ziehen, auf die die Juden auf ihrer Wanderschaft gestoßen sind: weder hat man mich mit einer Götzenanbeterin zu verheiraten versucht, noch Tempelgegenstände entweiht. Ich hatte keinen Grund feindselig zu sein – außer den geschichtlichen Judenverfolgungen durch die römische Kirche. Denn das war’s was mir Gunter nach dem Happening sagte: „Unbewusst hast Du’s genauso gewollt. Du wolltest Dich rächen!“
Ich hab’s überlebt, selbst Hohenauers Antrag an die Mitgliederversammlung ging nicht durch. Denn der zutiefst gläubige R. Kurz, Mitglied der marianischen Kongregation, ist nochmals über seinen Schatten gesprungen und hat zu mir gehalten. Das ist das Christentum, das er vorlebte. In Respekt verneige ich mich.