An manchen Tagen ertrage ich das Ausmaß an mittel- und oberschichtiger Hässlichkeit leichter, an manchen Tagen schwerer. Quert man den Panamakanal, kommen plötzlich um 6 Uhr früh Menschen auf Deck 9, 10 und 11, die sonst nie dort sind. Da kommen alte Männer mit Stock, sehr Dicke, Frauen in Bikini, die schon lange keinen mehr tragen sollten und ehemalig schöne Menschen, denen das Alter zugesetzt hat. Auf der Flucht in die Samsara Lounge, wo ich aus dem internen Becken die Passage der ersten Schleuse sehen kann, schiebt sich ein Paar zwischen mich und die Kanalaufbauten: sie ersuchen den Friseur Bilder von ihnen zu machen. Der Mann hat über einer gelben, knielangen Badehose einen hellbraunen Bademantel an und trägt eine Goldrandbrille. Seine Frau zeigt sich in einem grünen Bikini, ihr weißer Bauch wölbst sich über der kleinen Hose. Darauf wachsen verschiedene Warzen flache und gesielte. Das sich schön findende Paar lächelt und lässt Bilder von sich vor dem Hintergrund der Schleuse machen.
Heute, 24. Jänner 2020 durchquere ich mit tausenden anderen, den Panamakanal. Für mich hat das um fünf Uhr früh begonnen. Im Morgengrauen ging ich auf Deck 11. Dort war alles noch ruhig, nur dass schon einige wenige Menschen kamen, die mir unbekannt sind. Sonst kenne ich alle sportlichen Frühaufsteher und fühle mich als einer von ihnen. An allen anderen Tagen kommt etwa eine Frau um 06:45, die dann jeweils ein Bein auf die Reling legt, dehnt und hernach 45 Minuten läuft. Sie ist heute irritiert, sie mus um die vielen Unbekannten laufen. Sie schaut nie wen an. Einmal habe ich sie bei einer Engstelle vorlassen und habe dafür ein Lächeln geerntet. Alfred mit dem ich mich heute vorgestellt habe, was ich heuer mit Freude immer mache, war vor zwei Jahren daran erkennbar, dass er mit verschlossener Miene, schwarzgekleidet das Deck abgeschritten hat. Er hat die Arme abgewinkelt bei jedem Schritt so gehoben, dass er wie ein Vogel aussah, der nicht vom Boden kommt.
Rund ums Schiff kreisen Reiher, graue Pelikane, Seeadler, Geier, Fregattenvögel und Schwalben. Zwei Silberreiher aus einer Gruppe von fünf rasten gemeinsam auf der Spitze einer Einfahrtsboje im Atlantik: „Fragen die sich auch, ob sie ewig leben werden?“ sage ich zu Marguerite. „Deren Ziel ist der nächste Fisch,“ antwortet sie.
Die Durchquerung des Kanals ist spektakulär. Da gibt’s Schleusen und grüne Landschaft, Regenwald und viele Schiffe zu sehen: Tanker, Gas- und Gefahrentransporter; Schiffe, die mit Containern so voll beladen sind, dass ich fürchte sie könnten umfallen, wenn sie in einen Sturm kommen; mein Lieblingsschiff unter US-amerikanischer Flagge, das seinen blauen Bauch hoch aus dem Wasser reckt und ein weißes Deck hat, das so glatt sein soll, dass sich das Schiff angeblich umdrehen kann, ohne zu sinken. Dort soll es so weiß und glatt sein, dass sich kein Mensch darauf bewegen kann. Ich sehe keinen, was aber daran liegen kann, dass ich meinen Feldstecher nicht finde, oder ihn wirklich zu Hause liegen ließ. Seit einigen Jahren lasse ich irgendetwas Kleines, das das Gepäck nicht schwerer machen würde, zurück. Das diesmalige Beispiel ist der Nasen- und Ohrenhaareschneider. Der wiegt vielleicht 15 Gramm, aber ich habe ihn zurückgelassen. Stattdessen habe ich zirka 8 kleine Seifen mit, weil ich ungern meine Hände mit flüssiger Seife wasche. Da hätte eine, oder zwei gereicht. Es könnte also sein, dass ich den Feldstecher zurückgelassen habe, trotzdem ich ihn vor der 1. Weltreise eigens dafür in Kopenhagen kaufte. Er kann meinen engen Augenabstand und Unfähigkeit ein binokulares Bild herzustellen, ausgleichen.
Wie dem auch sei – Sie sehen die Reise geht stark nach innen. Sie wollen jetzt sicher wissen, was ich gegen diese mir unverständliche, neue Eigenschaft mache, die eine der Äußerungsformen des Altersgeiz ist. Denn ich will nichts Unnötiges schleppen, was eine geizige Haltung von mir gegen mich ist. Andere Alte werden noch Präsidenten, gründen Firmen, machen Aufstiege auf den Mont Everest, oder lassen sich ins Weltall schießen. Beginne ich gegen mich geizig zu werden, mich vor Bandscheibenvorfällen zu schützen, oder langsamer zu gehen, um keinen Unfall zu erleiden (wozu einem ständig geraten wird), dann könnte ich mit mir sparsam werden und beendete das Erleben – also das Leben selbst – zugunsten einer möglichen Lebensverlängerung, die das spannende Leben beendet. Verlängerung um den Preis der Beendigung könnte das dann heißen. Meine Beobachtungen hier am Schiff raten mir und damit Ihnen diesen Weg nicht einzuschlagen. Der Preis ist das Ganze und der erhoffte Lohn ein Abklatsch dessen, was hätte sein können. Man muss sich erst dann berücksichtigen, wenn man nicht mehr anders kann.
Über dem Tag lag ein Schleier Marguerite und ich waren böse aufeinander. Sie hat mich zu Recht beschimpft: ich wollte sie auf dem schlüpfrigen, abschüssigen Steg, der in Cristobal zu den Kanus führte, beschützen. Warum? Vielleicht hätten wir viel gelacht, wenn wir reingefallen wären. Vielleicht hätte uns ein Fisch gestupst, oder ein Krokodil gefressen. Die Gruppe hätte sich vielleicht um uns gekümmert und der zornige Italiener, der uns mit dem Blick: „Was machen die beiden Fetten da?“ angeschaut hat, hätte seiner Frau triumphierend sagen können: „Ich hab’s ja gleich gewusst!“
Ich weiß nicht: soll ich Ihnen nach allen diesen Erwägungen noch eine Beschreibung der technischen Heldentat Panamakanal geben, die 20.000 Menschen das Leben gekostet hat? Oder von dem genialen Einfall berichten ein großes Stück Land unter Wasser zu setzen, um den Traum von der Durchstechung Amerikas wahr werden zu lassen? Wer denkt an die Landbesitzer, deren Nachkommen zu armen Kreaturen verkommen sind und Touristen ihre einstmals für Kultus verwendeten Ketten um ein paar Dollar verkaufen? Oder soll ich ihnen doch lieber von der Perfektion, der über 100 Jahre alten Schleusentore erzählen und den Becken, die sich mit Süßwasser füllen und unser zirka 100.000 Tonnen wiegendes Schiff hinauf- und hinunterheben?
Lieber von dem kleinen Vogerl, das sich auf eine Leuchte bei der letzten Schleuse vor der amerikanischen Brücke setzte. Ein weißer Kragen trennt ein dunkles Köpfchen von seinem dunkelrot-violetten Körper. Es geht manchmal ein paar Schritte auf der Leuchte, verharrt dann, dreht den Kopf um zirka 270 Grad und bleibt wieder stehen.
Gut Shabbes – diese Woche dachte ich an Hand des Wochenabschnitts darüber nach, warum G’tt, gepriesen sei Er, 10 Plagen auf die Ägypter kommen ließ? Wen wollte er beeindrucken? Uns, Sein Volk, oder wollte er den Ägyptern zeigen was er kann? Oder der Welt bis heute? Wieso hat G’tt es nötig uns Würmer zu beeindrucken? Wenn das so wäre, dann wäre meine These von der Notwendigkeit von Auftritten für Alte aus psychohygienischer Sicht richtig und im Letzten g’ttgewollt. Dafür dient mir derzeit dieser Blog. Danke, dass Sie ihn lesen. Rückmeldungen sind erwünscht und werden als wahrgenommen werden, aufgefasst.