Schon wegen des Datums muss ich ein Resümee schreiben. Was hat mein Blog gebracht: Schreibfreude und -leid. Vier Reaktionen: zwei Söhne (sehr lieb), meine liebe Allzeitlektorin Gertrud Stadler und eine Kindheitsbekannte Elvira Salomonowitz. Sonst – schweigen. Nicht, dass mich das überrascht, aber dann doch. Soll ich weitermachen, oder doch einen Kreuzfahrtkrimi schreiben? Wozu überhaupt? Cui bono, wie der Lateiner sagt?
Es waren gute vier Wochen. Kein Streit in der Kabine. Eine sehr, sehr freundliche Mitbewohnerin habe ich. Überdies tolle Erlebnisse. Sie sucht das Gute, nicht das Fehlende. Kaum Kontakte, die schlecht ausgehen. Der neben mir im Whirlpool Badenden Walter borgte mir heute seine NZZ Sonntag für einige Momente; meine Wiener Freunde, die alles gemeinsam machen wollten, was komischerweise nicht gelingt; Tour-guides, die sich um mich kümmerten; Erkenntnisse und Zeit, um nachzudenken; sehr nette Tischnachbarn aus der Schweiz und München mit denen Plaudern sehr nett ist (Originalton Peter aus Bern: „Nicht das Schiff ist falsch, ich bin falsch hier.“) und einen sehr guten Fitnesstrainer (O-Ton Anneliese aus München: „Das hättest Du bei mir auch lernen können, ich war 20 Jahre im Fitnessstudio.“ Dann hat sie sich selbst überfordert und musste zwei Tage im Bett liegen – dachte sie.)
Gab‘s Negatives? Da muss ich nachdenken. Ja, manche Menschen wollen mich nicht grüßen. Ich finde das ist deren gutes Recht. Manche Menschen finden, dass ich ihnen im Weg stehe, was zumeist auch stimmt. Ich stehe beim Büffet, zu dem sie wollen, oder ich nehme einen Platz ein, den sie gerade einnehmen wollten, etwa beim Theater abends, oder auf Deck 9. Die Shows sind selten nach meinem Geschmack, aber manchmal doch – also nicht so schlimm. Die Begegnungen sind oberflächlich und ich weiß bei der nun 3. Reise, dass ich keine Emailadressen von Mitreisenden brauche, weil sie sich ohnehin nie mehr melden werden. Und ich auch nicht.
Freue ich mich auf die nächsten 12 Wochen? Komisch, die Zeit ist so schnell verronnen. Dass schon ¼ vorbei sein soll, kann ich kaum glauben. Sicher, wir werden keine Ausfahrt mehr machen, wie Galapagos. Wir werden keine Japanrundreise machen und auch keine in Australien. Stattdessen werden wir, wenn alles klappt, in der Sydney Oper in Hamlet von W. Shakespeare gehen und vielleicht in Singapur wieder im Chinese Food Market essen. Wir werden schon bald bei pazifischen Inseln schnorcheln und bunte Fische sehen.
Wenn es sein soll werden wir Purim und Pessach im Kreis der französischsprechenden Juden feiern und ich kann Immanuels Pessimismus aufheitern und mich freuen, dass ich oft gern in Wien bin, aber doch nicht so lange, dass ich wieder in den allgemeinen Pessimismus einstimme, wie ich das über 30 Jahre gemacht habe.
Wenn es noch besser geht, werde ich besser trainiert sein, als bevor ich aufs Schiff ging. Wenn es ganz gut geht werde ich mir sogar ein Rennrad mit Clixbindungen im Frühjahr zum Geburtstag wünschen/kaufen und dann mit den anderen Drei vielleicht sogar mithalten können. Das Bergauf zum Höchwirt und nach Rinegg macht mir noch Sorgen, das Bergabfahren ebenso, mehr als 40 km/h will ich nicht fahren.
Aber was soll’s? Vieles auf einer Reise wie dieser kommt unerwartet: Der gestrige Karneval, der wie ich von Jaqueline höre, keiner war, sondern nur die Vorbereitungswoche für eingeladene Gäste aus vielen Diözesen. Der Walzerunterricht, der sich negativ ausgewirkt hat, weil M. fand, dass ich bisher geschliffen habe und die Kenntnis der Schritte mein Tanzverhalten verschlechtert. Die Erkenntnis, dass Tanzende sich keine Schritte merken müssen, weil sie Schritte und Musik assoziieren und so die Musik die Schritte quasi automatisch auslösen (Bei den hunderten Tanzenden gestern in Arica erkannte ich jeden und jede, die das nicht hatten und immer die anderen anschauen mussten, um zu wissen was als nächstes kommt und daher immer um einen Augenblick zu spät dran waren. Leider musste ich mich mit denen identifizieren.) Daher weiß ich jetzt – das kann nicht werden. Ich weiß es leider seit der 2. Tanzstunde, aber ich wollte dem Tanzen noch eine Chance geben. Immerhin habe ich es zu Halli Galli gebracht, auch wenn ich sogar dabei Fehler mache. (Den einen Fehler mache ich aber nie mehr: die anderen anschauen, was als nächstes kommt. Das dekuvriert völlig.)
Ja, der Kontakt nach Hause. Na ja. Erstens: soll man den wollen? Wozu? Damit man nicht vergessen wird? Als ich bisweilen 100 Stunden/Woche in der Klinik war, half mir das Wissen, dass es ohne mich gut weitergehen wird. Das ist vor mehr als sechs Jahren eingetroffen und ich habe Recht gehabt. Die Nachtdienste werden gemacht, die Klinik gut geleitet, „meine“ Station wird betrieben. Vielleicht wird Manches anders gemacht, aber die Menschen, die heute dort arbeiten wissen zumeist nicht wie es früher war und nehmen es so wie es ist. Wahrscheinlich ist es gut, oder zumindest angemessen. Mir hat der Gedanke der Ersetzbarkeit damals geholfen. Wann immer mich eines meiner Kinder anrief, weil es sich in der Stadt treffen wollte, habe ich alles Liegen und Stehen gelassen und bin hingekommen. Ich wusste, dass mir das wichtiger ist und sein wird. Viele Freitage bin ich zu Mittag aus der Arbeit gegangen, um Erev Shabbat vorzubereiten. So überraschte es mich nicht, dass meine Pensionierung mich in der Klinik auslöschte. Nicht einmal die Post wurde mir nachgesandt. Unbekannt verzogen, Tod.
So wird es auch mit meinem Verschwinden sein. Gleich wie auf der Weltreise werde ich dem Einen, oder der Einen manchmal abgehen, so wie auch ich von meinen Eltern träume, oder manchmal meine Mama zitiere, wenn es zum Beispiel am Morgen auf Deck 11 mehrere Musikstücke gleichzeitig zu hören gibt: „Da kann man billig meschugge werden!“ Manche meiner Sprüche werden von meinen Kindern verwendet werden, manchmal werden sie mich im Guten, manchmal als abschreckendes Beispiel erinnern. In jedem Fall wird die Welt sich auch ohne mich weiterdrehen. Sich das vorstellen zu können, ist ein Segen. Es befreit.
Nun die freundliche Mitbewohnerin!
Resümee von Marguerite: Heute durfte ich Ronnys Resümee lesen und darf nun auch einige Gedanken mitteilen. Wie unsere Kinder gut wissen, sehe ich fast Alles im Leben etwas mehr oder weniger anders als Ronny. Ich lebe und denke und fühle weniger komparativ (obschon Ronny mir erklärt, dass man das nicht kann) und rege mich über fast Nichts auf. Und wenn mich mal doch was aufregt, gehe ich weg und lass es liegen. Es beschäftigt mich nicht länger, da ich mich entziehe oder eben sehr rasch was Besseres oder Schöneres oder Lustigeres finde. Quindi, che faccio?