Ich dachte schon, dass ich mit meiner Innenschau aufhören könnte. Da nahmen wir einen Taxifahrer vom Zentrum zum Schiff, der uns punktgenau zur vereinbarten Zeit nämlich um 18:30 ablieferte und er kam aus dem Punjab: plötzlich hielt er mir einen Vortrag über den Sinn des Lebens, über die Art wie man den Schöpfer in all Seinen Kreaturen und Schöpfungen erleben und verstehen kann und dann das Bild von Gott der Schraubenzieher ist mit dessen Hilfe wir die Schöpfung verstehen können.
Melbourne war überraschend schön. Zuerst trafen wir Michelle, eine ehemalige Freundin Sämys, die mit uns frühstückte und uns zu den jüdischen Geschäften brachte in denen Marguerite Pessachsachen kaufte. In den Geschäften sprach ein junges Paar Französisch und Jiddisch, er hatte eine Baseballkappe in blau, sie eine Perücke. Sie wollten für Purim Mischloach manot kaufen Geschenke, die man zu Purim macht. Ich hatte für Arme über Ohel Rachel gespendet also Mischloach gegeben. Die große Stadt am Meer mit ihren Häusern im englischen Stil erscheint freundlich. Am Queen Victoria Market sieht es wie in einem Film aus Manchester im 19. Jahrhundert aus. Wären nicht die Biomarktstandln und die Möglichkeit mit Kreditkarte zu bezahlen, es wäre wie damals: Bauern mit Äpfeln, Birnen und Tropenfrüchten wie Ananas, Kunsthandwerk und Imbisse im gedeckten Teil: Bratwürste mit Bier, Semmeln mit Sauerkraut, aber auch Kangorohfleisch und Krokodil neben Kaninchen. Auf der anderen Straßenseite, beim Ausgang des Nachtmarkts sahen wir ein fast leeres chinesisches Restaurant (Manche denken vielleicht, dass man sich auch in einem Restaurant das neue Virus holen kann, obwohl auf den Straßen viele Menschen gehen, die eine asiatische Komplexion zeigen.) in dem wir Ente und Pak Choi aßen. In dem Restaurant gab’s gutfunktionierendes Internet. Marguerite las Nachrichten über Madagaskar und Réunion: Schiffe wurden zurückgewiesen, in Réunion warfen Demonstranten Steine auf Polizisten, die die Kreuzfahrtgäste schützten. Die Einwohner wollten verhindern, dass SARS-Cov-19 auf die Insel kommt. Da besprachen wir die Möglichkeit von Sydney zurückfliegen: Marguerites älteste Tochter hat 40. Geburtstag, alle Geschwister kommen nach Wien, am Samstag gibt’s ein Fest. M. bekam feuchte Augen. Wir ließen die Frage offen und schlenderten in die Innenstadt zu den Geschäften. Wie wenn es die Frage nicht gäbe, kauften wir praktische Dinge wie Rasierklingen und zuletzt einen tollen und verrückten Schuh für M. Die Herrenschuhe waren mit Comics bedruckt, leider aus Plastik und hart. Selbst wenn es Tanzschuhe gegeben hätte, mir stand „Holzbein“ vor Augen. Das ist ein deutscher Mann, gut aussehend, der trotz guten Schuhen und viel üben einfach nicht tanzen kann und es nie erlernen wird. In einem Film mit O. Schenk, H.-J. Wussow spielt der Dritte, dessen Name mir entfallen ist (er war die Stimme Ghandis in dem gleichnamigen Film, zuletzt Doyen des Burgtheaters) den Holzfuß. Schenk gewann jedes Tanzturnier, Wussow verlor und Holzfuß machte sich lächerlich. Schenks Frau tanzt nicht mehr mit ihm und so hat er es aufgegeben. Um dem gemeinsamen Enkerl zu helfen bietet Oma Schenk an wieder mit ihm zu tanzen und Schenk selbst will Holzfuß einmal gewinnen lassen. Doch am Tazboden selbst vergisst sich Schenk und gewinnt. Ich identifiziere mich mit Holzfuß – ich kann noch viel weniger. Wozu dann Tanzschuhe kaufen? M hat nun zwei Paar Tanzschuhe.
Ein Reisebüro: M. will Flüge kaufen, das war verrückt. 450.-€ für Economy, 32 Stunden Reisezeit. Dafür bin ich zu alt. Ich schlief sitzend ein. Wenn wir uns die Rückreise nicht leisten können, dann sollten wir’s lassen. Wir entkamen, die nette, chinesische Mitarbeiterin schickte uns ihr Angebot.
In Chinatown sahen wir ein Lokal, das Mao-TseTung hieß. Es war mit Postern des Großen Vorsitzenden geschmückt. Eine Einschätzung seiner Leistungen und der Fehler der Ausrufung der Kulturrevolution stand auf dem großen Poster über den Esstischen. M. machte ein Bild Foto von mir mit erhobener rechter Faust, wo ich fast so aussah, wie ich damals als ich für den Vietcong demonstrierte.
Bei der Rückfahrt mit dem Taxi sagte Rangip aus dem Panjab, während er Wasser aus einer großen Flasche trank, dass er seine Reise nach Innen vor fünf Jahren begonnen hat: „God is a screwdriver. You need this screwdriver to understand the cosmos, the creator. The journey to meaning requires love to all his creatures.“ Er sprach ohne Unterbrechung, er weiß wie’s gehen soll, was immer ich sagte war falsch. Bei den Erleuchteten wusste er, dass nicht Meditation, sondern Liebe zu Seinen Geschöpfen der rechte Weg ist. Er war im Besitz der Wahrheit. Wir widersprachen nicht. Als Taxifahrer war er gut. Wir fürchteten im Verkehr stecken zu bleiben und zu spät zum Schiff zu kommen, er beruhigte uns. Ich machte Witze, dass wir bei ihm bleiben würden und wir lachten. Rangip erläuterte bis zum Schluss.
In der Abendsonne im Whirlpool schauten wir in die Sonne, die sich in den Fenstern der Hochhäuser spiegelte. Die Sonne ging langsam unter, hinter der Flagge Veneziens, die im Hafen am Heck aufgezogen wird, ging ein Halbmond auf.
Wir empfanden eine Mischung aus Teilhabe am Hier und Jetzt und Dankbarkeit für das, was wir erlebten. Menschen machten Fotos vorm Hintergrund, ein lustiger Phillipino ging unbeachtet mit großer Kamera herum. Ich bat ihn mich mit Melbourne als Hintergrund zu fotographieren. Ich kam aus dem Wasser, fühlte mich jung und schön – die Fotos zeigen etwas anderes. Nicht gekauft. Wir sprachen mit Alfred und seiner Frau. Sie freuen sich nicht auf die Inseln im indischen Ozean. Vorletztes Jahr ging Alfred als schwarzer „Vogel“ auf Deck 11 morgens spazieren. Ich sprach ihn nie an. Diesmal habe ich ihn kennengelernt. Er und seine Frau Annemarie sind genauso Seine Kreaturen, wenn auch sehr verschieden.