Besonderes passiert im Verborgenen, sagen die Sprüche der Väter. Viele Nobelpreisträger fanden, dass sie für das Falsche den Preis zuerkannt bekommen haben. Seine bedeutende Entdeckung sei nicht gewürdigt worden, meinte zum Beispiel Konrad Lorenz. Meine Professur ist ein Beispiel dafür, dass meine eigentliche, weltverändernde Leistung nicht anerkannt wurde. Ich halte mich für den Erfinder des Venenzugangs für Säuglinge und Kleinkinder, der heute millionenfach verwandt wird. Ich bin ganz überzeugt, dass die Firma an die ich vor 54 Jahren geschrieben habe, meine Erfindung gestohlen hat. Das war nicht schwer, es schmerzt nicht, führt aber dazu, dass ich von meiner Beamtenpension (gut) lebe und kein Vermögen habe. Vielleicht mache ich mich auch lächerlich und es gab’s schon längst und Herr Braun hat es wirklich 15 Jahre früher erfunden.
In meinen Nachtdiensten 1976/76 im Karolinen Spital und später nach der Übersiedlung dieses Primariats ins Wilheminenspital, behandelte ich sehr viele Säuglinge und Kleinkinder mit Durchfallserkrankungen. Damals gab’s noch bakterielle Formen, die vom Echerichia Coli (benannt nach dem ebenfalls in Graz tätig gewesenen Theodor von Escherich (1857-1911) und heute der in der Herstellung von Biologika meistverwandte Keim) ausgelöst wurden, neben vielen durch Viren bedingten Formen. Die Kinder hatten Gastroenteritis: Erbrechen, das vom Durchfall gefolgt wurde. Die Flüssigkeit, die durch Erbrechen, Durchfall und Fieber verloren geht, soll ersetzt werden. In den Entwicklungsländern lässt man die Kinder nicht schlafen und gibt dauernd Rehydrationslösung, Millionen Kinder unter fünf Jahren sterben jährlich an der Erkrankung. Bei uns lassen viele Eltern ihre Kinder schlafen, haben diese auch daran gewöhnt das zu machen, was sie selbst wollen und nicht das, was die Eltern anordnen, so dass das Kind, wenn es krank ist und keine Lust hat zu trinken, die Flüssigkeit verweigert und auch aus diesem Grund infusionspflichtig wird.
Hans Zimprich führte im Karolinen Spital 1974 die Infusion mittels zentraler Leitung ein. Bis dahin hatte man den Kindern entweder eine Nasen-Magen Sonde gelegt und sie so ernährt, meist hatte man Teepause angeordnet, so dass die Kinder nur schwarzen Tee bekamen und hatte den Tod von zirka 30% der kranken Kinder hingenommen. Hans wollte das nicht hinnehmen.
Die peripher angelegten zentralen Leitungen hatten dicke Nadeln durch die ein Plastikschläucherl geführt wurde. Man stach am liebsten in der Ellenbeuge ein und – wenn man die Hohlnadel in der Vene sicher platziert hatte – wurde die Leitung gelegt. Bei Kindern unter drei Jahren misslang das Manöver oft: die Vene platze beim punktieren, oder beim Einführen des Plastiks, oder man stand an einer Biegung an, oder alles rutsche raus. Meist hatten die „ausgetrockneten“ Kinder keine sichtbaren Venen, der Druck in den Gefäßen war insgesamt gering, die Flüssigkeit aus den Extremitäten in den Stamm zurückgezogen (zentralisiert), die Haltemanöver taten ihr übriges und die Angst (des Kindes, des Arztes, der Eltern) – alles führte zu noch schlechter sichtbaren Venen.
Misslang das Legen einer zentralen Leitung, so wurde ein mit chirurgischem Werkzeug gefüllter Aluminiumkoffer herbeigeschafft und man führte eine Venesectio durch. Das war eine verstümmelnde Operation am Krankenbett des Kindes, die es in der Form heute nicht mehr gibt. Heute wird das Kind anästhesiert, desinfiziert und im Operationssaal behandelt. Wir haben die Vene in der Ellenbeuge quer aufgeschnitten und in das körpernahe Ende der Vene eine Sonde eingelegt, um eine Infusion zu geben. Das Kind wurde gehalten, hat geschrien, die paar Tropfen Lokalanästhetikum haben daran nichts geändert. Die benutzte Vene ist nachher verloren.
Nach einigen solchen „Schlachten“ mit viel Weinen und viel Blut hatte ich die Idee, dass man das System einfach umkehren könnte. Ich war 24 Jahre alt, voller Selbstvertrauen und Sendungsbewusstsein. Innerlich mit F. Sauerbruch und Albert Schweizer im Bunde, Retter, Helfer und Held. Ich stellte mir vor, dass, wenn die Nadel eine einfache Nadel wäre, wie ich sie aus den Kleidergeschäften meiner Eltern kannte und das Plastikschläucherl Drumherum, die Einstichstelle viel kleiner sein könnte und das Risiko mit einer Riesennadel die feinen Gefäße der Kleinkinder zu zerstören wegfiele. Es wäre also Nadel, keine Hohlnadel und sie sollte fein, scharf und spitz sein. An ihr entlang würde man ein zartes Plastikschläucherl führen, das in der Vene verbliebe, wohingegen man die Nadel wie einen Mandrin herauszöge. Ganz gleich wie bei der Lumbalpunktionsnadel.
Voller Begeisterung schrieb ich in einem handschriftlichen Brief am Ende eines Nachtdienstes in dem wir wieder einmal alle „Schaurigkeiten“ erlebt, sowohl zentrale Leitungen probiert als auch Venae sectiones gemacht hatten (bei denen meine verehrte Lehrerin A. Pulgram ein besonderes Geschick aufwies, hatte sie doch in Lagern in der Sowjetunion sowohl als Kinderärztin, als auch als Chirurgin gearbeitet). Ich schrieb, dass ich eine Umkehrung der „Leitungen“ wie die Venenzugänge im Jargon heißen, vorschlüge und dass ich zu Berichten aus der Praxis und zur Erprobung gerne zur Verfügung stünde.
Ich bekam nie eine Antwort. Meine Antwort wird 2020 millionenfach verkauft. Inzwischen ist es praktisch die einzige Art des Venenzugangs, die im Kindesalter verwendet wird. Es gibt ganz, ganz kleine Leitungen für Frühgeborene, die diese schon in den ersten Minuten ihres Lebens bekommen, die Innenwände der Plastikschläucherln sind wegen möglicher Verstopfungen ganz glatt. Die Leitungen halten mehrere Tage und ermöglichen die Zufuhr von verschiedenen Stoffen, sogar Fett, oder Eiweiß, wenn das erforderlich ist.
Ich bin sehr stolz, dass es das gibt.
Nie werde ich erfahren, ob diese Erfindung, die so viel Gutes für die Kinder gebracht hat, schon in der Pipeline war, ob sie in „der Luft lag“, oder wir sie bei der Gemeinde Wien einfach nicht hatten. Nie werde ich erfahren, ob ich der Erfinder war, oder ob diese Leitung schon erfunden war. Nie werde ich erfahren, ob ich das Schicksal der Kabarettkunstfigur Travnicek teile, die die Schiffsschraube erfunden hatte, obwohl diese schon erfunden war.
Seit Jahrzehnten weiß ich aber, dass ich ein Patent hätte ausarbeiten sollen, am besten mit der technischen Lösung und erst dann an Firmen hätte schicken sollen. Was ich nicht weiß ist, ob nicht die Gemeinde Wien, bei der ich damals angestellt war, einen Teil der Revenue bekommen hätte; was ich nicht weiß ist, ob ich das mit dem Patent geschafft hätte. Was ich aber weiß ist, dass mein Großonkel William (Wowek) Nattel, der in Kanada in der Stahlindustrie arbeitete und sehr viele Patente hatte, das gewusst hätte. Was ich auch weiß ist, dass ich einfach zu blöd und zu naiv, zu selbstbewusst und zu reich war. Wowek hingegen kam von den Verbrennungsöfen Auschwitz‘, wo er seine Kameraden verbrannt nachdem sie vergast worden waren; dann war er als Displaced Person in Deutschland, emigrierte nach Israel, arbeitete dort als Eisendreher am Bau und ertrug die Hitze nicht. Ihm fiel auf, dass die Holzhäuser in seiner neuen kanadischen Heimat unglaublich oft verbrannten. Da es keine Elektrikerausbildung gab, drehten die Errichter der Selbstbauhäuser die Elektrodrähte einfach zusammen. Das führte zu Funkenflug und Verbrennen. Wowek erfand stählerne Buchsen in denen die Drähte verbunden wurden, reichte viele Patente für Fertigteilhäuser ein und bekam Geld von den Produzenten, den Feuerversicherungen und den Erbauern. Am Ende seines Berufslebens war er Besitzer von zwei Fabriken, die diese Buchsen herstellten und führendes Mitglied internationaler Feuerversicherungsvereine.
Ich hingegen habe und hatte kein Patent auf die Venenpunktionsnadeln. Was mich mit Wowek verband war, dass ich vielleicht vielen Menschen habe helfen können.