Freunde kann man nie richtig beschreiben. Sie sind immer falsch beschrieben, oder fühlen sich so. Es ist aber ganz einfach: ich beschreibe nur, was ich wahrnehme, wie ich sie wahrnehme und habe daher jeweils einen Weblink hinzugesetzt. Da kann der/die Leser*innen dann deren „wahre Form“ sehen, deren Öffentlichkeit, ihr Wirken in der Welt und wie sie von anderen dargestellt werden, oder sich selbst darstellen. Manche sind öffentlicher, manche mehr verborgen – aber alle haben ein öffentliches Gesicht.
Dieses spielt in der „Aufzählung“ keine Rolle. Die Beziehungen sind überraschend, meist für mich, so wie für andere. Sie sind unvorhersehbar – Werte wie Anständigkeit, oder Treue, oder Verlässlichkeit kommen kaum vor. Warum das so ist? Zuerst, weil ich diese Werte für einschränkend halte, beengend und letzten Endes Anlass für Zerwürfnisse. Weiters, weil die Liebe die Grundlage der Beziehungen ist, es gibt keinen äußeren Zwang oder Wirksamkeit. Beziehungen die „nützlich“ sind, kommen hier nicht vor. Natürlich sind auch diese Beziehungen nützlich: Ingo empfiehlt in Seggau Wein zu kaufen; Peter Sichrovsky hilft mir meine Schreibfähigkeiten einzuordnen; Dieter zeigt meine körperlichen und viele andere Grenzen auf; Peter Stix lässt mich an Weisheiten teilhaben und Helmut sieht bisweilen dasselbe wie ich, aber aus völlig anderer Perspektive. Das ist wieder nur der allerkleinste Ausschnitt dessen was diese Beziehungen so wichtig macht. Sie machen das Leben bunter, vielfältiger und haben keinen Sinn und keinen Zweck, außer eben den.
Mein Freunde-Kosmos schaut so aus (wobei ich Peter Sichrovsky den ältesten und herznächsten nicht erwähne, weil er das sicher nicht möchte).
In der Organisationsberatung und dem Managementtraining wurde ich mit Helmut Kasper befreundet. Ich lernte seine Frau kennen, durfte manchmal ärztlichen Rat geben, begleitete die Kinder im Erwachsenwerden aus der Ferne, aß mit ihm und den Seinen und feierte Geburtstage. Wir lernten voreinander, publizierten Bücher und Buchartikeln und gehen wandern und schwimmen.
Mein psychotherapeutischer Milchbruder Peter Stix kam oftmals vor, oder nach mir auf die Couch bei Walter Spiel. Er kam aus Graz mit dunklem Schnurrbart und vielen interessanten Geschichten aus der Welt und von Frauen. Wir waren fast 30 Jahre an derselben Universität in Graz und halfen einander, gingen Mittagessen, selten wandern. Nun ist Peter ein wenig krank und wir machen Manches anders: wir sind aber miteinander nicht anders wie früher und er sagte unlängst, als ich für ihn kochte und wir zu Mittag aßen: „Du bist eigentlich der einzige meiner Freunde, den ich lese!“ Wie schön.
Ein Kinderarzt – er schien mir so weit weg, wie nur denkbar. Ingomar D. Mutz, der Wissende und langjähriger Chef der Abteilung in Leoben, Organisator des Fortbildungskurses in Obergurgl, ehem. Präsident der österr. Kinder- und Jugendärzt*innen und was weiß ich sonst noch. Immer enger wurde unsere Beziehung. Vor über 30 Jahren wurde ich als Mitglied der Tarockrunde, die seit dem 2. Weltkrieg besteht, aufgenommen. Damals war ich „Tarockpartner“. Dann wurde ich Obergurglmitschifahrer, dann sogar Wanderkamerad und heute ist es er der, der mir erlaubt etwas zu schreiben, oder eben nicht. Der Vorzugsschüler und der sozial Intelligente – einträchtig besteigen wir die Berge rund um Bruck/Mur, wie den Hochanger, oder die Mugl oder das Rennfeld und genießen Ausblick und Gemeinschaft. Mit einem Berg Heil wird der Zwetschgenschnaps getrunken und abends Tarock gespielt. Er weiß alles und ich wenig. Wunderschöne Ergänzung. Seine Empfehlung: Sag nur was nützlich, gut, oder wahr ist – ich versuche sie einzuhalten, es fällt mir schwer, aber ich übe.
Dieter Neger suchte Hilfe wegen eines pubertierenden Sohns vor über 20 Jahren. Ich kannte ihn – er lief oft, wenn ich zum Josefsmarkt ging über die Straße Richtung Schlossberg. Der Deal war: ich berate und Du bringst mich in Schwung. Ich stieg damals mit zirka 50 wie der Bulle von Tölz aus dem Auto aus und fand das unschön. Der Deal hält bis heute, wir haben einander beraten, Arzt ich, Rechtsanwalt er. Wir tragen die gleichen Hemden und fahren nun oft mit dem Rad um 05:45 von Graz nach Rinnegg und retour – er mit Rennrad und ich mit dem E-Bike. Ich rufe manchmal: „Die Großmutti kommt!“, denn im Vergleich schaue ich so aus.
Vor fünf Jahren lernte ich nun im Ausschuss der Ernst-Ludwig Ehrlich Stiftung einen Mann kennen, ein paar Jahre älter als ich, reich und angesehen – irgendwie wir eine Verlängerung meines Selbst und doch ganz anders. Generalhonorarkonsul der Mongolei Prof. Dr. Abi Pitum, Geschäftsmann in München und wie ich seit einigen Tagen weiß Busfahrer – ein proletarischer Beruf, wie er in der DDR gefordert wurde. Wir essen miteinander, treffen einander in Tel Aviv, besuchen uns dort, ja sogar einmal an der Coté d’azur. Und plötzlich sagt er, als wir in München in einem mittelmäßigen Restaurant nahe des Bahnhofs sitzen: „Es ist selten, dass man in diesem Alter noch einen Freund findet!“ – und ich bin baff. Hin und weg. Was sagt man da?
Ist die Anzahl Freunde begrenzt? Hat man ein Limit? Oder stimmt‘s, wenn ich meinen Kindern immer sagte, dass man in der Schule keine Freunde hat, sondern nur Arbeitskollegen?
Ich jedenfalls habe in meiner Zeit an der grazer Uniklinik keinen Freund gefunden. Trotz 28 Jahren war die sinnlose Konkurrenz zu groß, die Spannungen ebenfalls, so dass ich keine Freundschaft schließen konnte. Man weiß, dass soziale Kontakte, guter Schlaf und etwas Bewegung die besten Garanten für ein fröhliches und sogar gesundes Leben sind. Was mache ich da nur: heute waren wir beim Radeln schon vier – und ich habe sie zusammengeführt? Wahrscheinlich stimmt die Monogamiethese im Freundschaftsbereich nicht für mich. Vielleicht hätte Othello, der Sieger von Lepanto nicht annehmen sollen, dass Jago ihn liebt – vielleicht wäre es dann anders gekommen. So wie Desdemona ist meine Frau allerdings für die richtigen Freunde und sie unterstützt diese. Wenn sie sich, wie Desdemona für Cassio, für einen Mann einsetzt vermute ich nicht, dass sie mich mit ihm betrügt. Aber wer weiß?