Das erste Auto ist für einen jungen Mann so wie der erste Geschlechtsverkehr. 2020 werde ich daran erinnert, weil sich mein Jüngster Noah seines kaufen will. Ich war 23 Jahre alt, fürs erste Auto viel zu spät. Die Freunde meiner drei Jahre älteren Schwester Daphne hatten alle schon mit 18 ein Auto, entweder selbst erwirtschaftet oder von den Eltern geschenkt. Es waren 1974 für junge Menschen der coole Mini, der damals wirklich noch ein Mini war, oder der luftgekühlte VW Käfer mit Heckmotor, der wie eine Nähmaschine klang. Im schlimmsten Fall hatten sie das alte Auto vom Papa – Mama hatte damals noch kein Auto.
Mit 16 Jahren wollte ich meiner Freundin Gabi imponieren, nahm den Opel Kadett meiner Mama und fuhr die Neuliggasse hinauf zum Rennweg. Es schneite leicht, die Straße war rutschig, die Geleise der Linie 71 nass. Bei der Kreuzung Rennweg/Schlachthausgasse traute ich mich nicht umzudrehen. Es war spätabends, die Straßen leer, kalt und nass. Das Auto rutsche auf den Schienen. Ich blieb stehen und ging zur Telefonzelle und rief Robert, den Minibesitzer an von dem ich wusste, dass er gerade neben Daphne am Diwan saß und ihr einen Kuss abzuringen versuchte. Meist scheiterte er. Er war Installateurlehrling und meiner Schwester, der jüdischen Prinzessin nicht gut genug. Jahre später erhängte er sich. Robert F. kam mit seinem Mini und rettete uns. Mama hat das keiner von uns je verraten. Ich war mir sicher gewesen, dass Daphne mich verraten würde. Nach außen – das war in dem Fall auch die Mama – hielt sie aber meist zu mir. Mich beschimpfte sie.
Vor meinem ersten Wagen hatte ich mehrere Mopeds und Mofas. Das erste Moped kaufte ich mit Papa in Schwechat. Einen Gatschhupfer mit Leopardenplastikdecke am Sattel und high-rise Lenker, Motor aus dem Puch 50. Später fuhr ich ein völlig fades Einsitzermoped für Studenten und Hackler und noch dazu in orange. Furchtbar wie ich aussah, wenn ich mit meiner hellbraunen Lederjacke darauf saß, vielleicht rührend. Jedenfalls fand mich Traude, die eine femme fatal war so.
1974 näherte sich das Ende des Studiums – bald würde ich viel verdienen. Also ein Auto. Mein Vater war in Israel Buschauffeur gewesen, Fahrschulbesitzer (dessen einzige Kundschaft meine Mama gewesen war und die hatte, hochschwanger, nach einer Stunde die Belehrung abgebrochen) und in Österreich Vertreter, der mehr als 100.000 Kilometer/Jahr fuhr. Immer große Autos Studebakers, oder Volvo.
Er hatte schon das Moped mit mir gekauft, nun ging’s ans Auto. Es musste ein Renault R4 sein. Er war die Antwort Renaults auf den 2CV – beide Kultautos der Studentenbewegung. 2CV war J.P. Sartre, Anarchismus und permanente Revolution, R 4 eher Gang durch die Institutionen, H. Marcuse
und Maoismus. Daniel Cohn-Bendit musste daher 2CV fahren, Rudi Dutschke Renault. Meine Schwester, die schon in der zionistischen Jugendbewegung Hashomer Hazair eine Hundertprozentige war, war das danach in der Freien Neuen Linken (FNL, die Abkürzung so wie es die vietnamesische, kommunistische Bewegung Front National de la Liberation hatte.) und später in der intellektuellen Berufstätigenpartei (VKI = Verein kommunistischer Intellektuellen) der Maoisten immer mit demselben Engagement und den geschlossenen Scheuklappen. Sie musste einen 2CV haben. Den hatte sie lange, lange Zeit, sogar noch als sie schon unglückliche Geschäftsfrau in dem Damenmodengeschäft der Mama war. 1980 durfte die dreijährige Judith auf der rückwärtigen Sitzbank stehen, das Fetzendach war offen und sie schrie glücklich. Ich sahs und hatte Angst.
Der Kauf des R4 war leicht und überteuert. Papa ging mit mir zur AVA Bank. Er war Gutsteher, wie der Bürge altvorderisch heißt. Der Zinssatz war schrecklich. Heute 2020, wo ein Kredit keine 4% mehr kostet, kann man sich nicht vorstellen, dass die AVA Bank das Auto mit zirka 11% belehnte. Überdies gehörte ihr das Auto bis zur vollständigen Bezahlung des Kredits. Ob das eine der pädagogischen Ideen Papas war, oder er kein Geld hatte, oder nicht kreditwürdig war, oder mir das Gefühl geben wollte, dass es wirklich mein Auto war – ich weiß es nicht. Ich zahlte das Auto fast doppelt.
Aber was für eine Freude! Papa hatte den Autokauf unterstützt, weil er meine Beziehung zu Traude für mich gefährlich fand. Sie war drei Jahre älter, bereits zweimal verheiratet, durchaus aufreizend. Bei ihrem ersten Treffen mit meinem Vater im Hinterzimmer seines Kindermodengeschäfts am Vorgarten in Wien 2. Bezirk hatte sie ihre kleinen Brüstchen auf den Tisch gelegt, so dass er die Warzen zu streicheln begann. Sie nahm’s hin. Er hatte ihren histrionischen Charakter, ihre Auftrittsgeilheit durchschaut und wollte nicht, dass ich ohne Auto in Wien-Neustift säße während sie Liebhaber traf. So war’s denn dann auch. Noch mit dem Moped war ich ihr einmal nachgefahren und war neben der Feuerwache Neustift
gestürzt. Papa wollte mich retten, weil er sah, dass ich verloren war. „Ein Mann,“ pflegte er zu sagen: „geht immer in die Richtung, die sein Schwanz ihm weist. Er begründet es dann nur anders. Aber so ist es.“
Der R4 war eine Wucht. Amaturenbrettschaltung – das Geilste überhaupt. Links vorne hinein: Erster Gang. Rausziehen: Zweite – und so weiter. Jedes Jahr gab es eine Wette in Frankreich ob wer einen 2CV oder einen R4 in der Kurve umstürzen könne. Meines Wissens gelang es mit beiden nicht. Sie legten sich auf ihren langen Federbeinen in die Kurve und standen danach wieder auf. Der 2CV hatte 16 PS, der R4 26. Ich musste mich entscheiden: heizen, oder radiohören. Das Radio mit Kassettenspieler war auf dem Heizungsauslass montiert und wurde, wenn ich heizte so heiß, dass es ausfiel. Später, als ich oft zu Ingeborg meiner späteren ersten Frau nach Linz fuhr, wechselte ich oft ab. Halbe Stunde heizen, halbe Stunde Radio, Reisedauer 2 ½ Stunden.
Heftiges Begehren verursachte meinen ersten Unfall. Ich war mit Heidi unterwegs, 1974 einer 37jährige Lehrerin, deren Johanna in demselben Kinderladen beim Nestroyhof waren, wie Traudes Clemens. Kinderläden als Sequela der Studentenbewegung sollten die Kinder zu einer Gemeinschaft, zu jungen Revolutionären erziehen. Heidi war anfangs wegen ihres Manns dort und passte nicht rein. Sie war eine Mittelschichtstochter aus gutem Hause, Klosterschülerin, immer proper gekleidet, roch betörend nach Sauberkeit und Arnikaseife. Mit dem neuen R4 fuhr sie mit mir von Neuwaldegg Richtung Tulln auf der Höhenstraße. Ich wollte schnell einen dunklen Parkplatz erreichen und mich dann auf sie stürzen. Ihr war’s Recht. Sie küßte mich gern, hinter den Ohren hatte sie einen Tropfen Patschuli aufgebracht, ein Tribut an die Wohngemeinschaft, in der sie lebte. Sie hatte es nicht so eilig wie ich. In der dritten Kurve bergan war ich zu schnell. Das linke Vorderrad kam auf der Gegenfahrbahn in den Wasserablauf. Im Bauernhaus nebenan musste man den Knall gehört haben: Der Bauer kam mit seinem Traktor, übersah die Situation und brummte: „Das passiert jetzt schon jeden Tag.“ und zog den R4 raus. Die Federbeine waren gebrochen, die Felge verzogen, die Stimmung verflogen. Traude erwartete uns in Neustift wo wir mit Clemens wohnten. Um den Abend zu retten, besuchten wir im Turmstüberl den Bühnenbilder Heinz. Barbara, die mit uns wohnte, schloss sich an. Wir verkuppelten sie mit Heinz, den sie adorierte und Heidi, Traude und ich zogen uns zurück. Eine Symphonie der Geschmäcker und Gerüche, zwei Klosterschülerinnen und ein Jud.
All das machte das neue Auto möglich, das nun verletzt, wirklich meins war.