Man kann immer noch mehr machen, ich glaub‘ es kaum. Marguerite fand, dass wir was erleben müssen. Also buchte sie eine Rundfahrt in der Schnorcheln mit Haien und Mantas enthalten war – das Gefühl, das James Bond in Goldfinger gehabt haben muss. Katzenhaie und Mantas schwammen außerhalb des Riffs um uns rum, innerhalb des Riffs sahen wir unzählbare neue Fischarten in allen Farben und Farbkombinationen.
Um sechs Uhr früh regnet’s und stürmt’s. Ich habe einen Bungalow wollen, um den Fischen einen Guten Morgen zu wünsche. Da kann eine Wetterkapriole mir keinen Strich durch die Rechnung machen. Also hinaus. Im Gänsehäufl wo ich vor Jahren in Wien an einem sehr heißen Tag Spätnachmittag hinkam, regnete es. Ich wollte mich nur schnell abkühlen und fragte, ob es angesichts des Regens und der späten Stunde eine verbilligte Eintrittskarte gäbe. Die Antwort der Kassiererin war vom Besten: „Jetzt, wo’s regnet kostet’s doppelt. Wasser von unten und von oben!“ Währenddessen rannten die Badebesucher in Scharen zu ihren Autos. Auf Bora Bora war’s anders: das Wasser war wärmer als die Luft, der Sand aufgewühlt, aber sobald der Kopf unter Wasser ist, stören die Wellen kaum. Ich ließ mich zu den Korallenstöcken treiben. Wieder sah ich Fische, die ich nicht kannte. Das kann meinem schlechten Gedächtnis zuzuschreiben sein, oder dass es dort viele Arten gibt. Erschöpft legte ich mich nochmals ins Bett, vor allem, da ich dachte, dass das Frühstück 32 US$ kostet. Marguerite packte unsere zwei Rucksäcke ein, wir nehmen immer zu viel mit. Frühstück war dann inklusive eigentlich ein Brunch – ich aß mit Appetit.
Das Boot sollte sich um ¾ 8 mit maximal 14 Personen füllen; wir waren bei der Abfahrt wirklich nur 11 und unser Kapitän. Allerdings holten wir dann noch sechs Personen und den „Entertainer“ und Matrosen von einem nahegelegenen Steg daneben ab. Drei Italiener und ein Slowene, sie kamen um ½ Stunde zu spät. Iain, ein Schotte aus Edinborough saß uns im Boot gegenüber: gleichalt wie ich, er kam mit Stock. Er hatte vor 26 Jahren mit 39 einen fast tödlichen Autounfall. Seither kann er sich mit Schmerzengeld viele Wünsche erfüllen. Das Buch über seine Reisen erschien bei Amazon: „From Crash to Cash“. Es beschreibt sein Leben nach dem Unfall, der ihn das rechte Auge, beide Knie und manch anderes gekostet hat. Er erzählt voll Lebensfreude und ist wie aus V. Frankls: „Trotzdem Ja zum Leben“ sagen. Verschmitzt lächelt er, zeigt uns sein handgemaltes Glasauge, berichtet von Tahiti und Neuseeland. Weiß, dass er nicht aus dem Boot springen darf, weil er nie mehr reinkäme und arrangiert, dass er zum Sandstrand gebracht wird.
Ein Jungmanager aus Slowenien kennt Graz. Er reist mit der Gemeinschaft Viaggi avventuri del Mondo – ein Reiseveranstalter, der Flüge organisiert und einen Führer, aber sonst sehr viel offenlässt. Die vier Personen zeigen Gewissen: als wir bei der Mittagspause auf einem Atoll landen, setze ich mich an einen der zugewiesenen Tische. Ein Römer mit Frau fragt, ob er sich dazu setzen darf. Gerne, ist meine Antwort. Dann denkt die Frau an die anderen. Der Führer der Gruppe bringt – toll mit einer Hand den Plastiktisch tragend – einen Tisch. Da will das Pärchen mit den anderen übersiedeln. Ich weiß warum, sage ich mehr zu mir, als zu ihnen: „Porco tedeschi!“ Da bleiben sie, wir essen gemeinsam, sprechen und lachen in einem Gemisch aus Italienisch, Englisch und Deutsch.
Die Haie und Rochen werden mit Tintenfischen und Seesternen gefüttert. Wir sind außerhalb des Riffs und Haie schwimmen um uns herum, aber lassen uns in Ruhe. Wir sind nicht ihre klassische Beute. Allerdings muss man die Beute fallen lassen. Einem Franzosen ist das misslungen: ihm wurde ein Teil der Hand abgebissen. Während wir schnorcheln, denke ich an den Biologen aus Galapagos, der erzählte, dass Haie mit den Geschmacksknospen an den Lippen schmecken. Zuerst jagen sie und erst, wenn es ihnen nicht schmeckt, lassen sie die Beute fallen. Da kann einem aber der Arm schon abgebissen sein. Das ist ähnlich wie sich die Menschen am Schiff beim Buffet verhalten: Zuerst jagen sie und lassen dann vieles stehen, weswegen die Mitarbeiter*innen auf der Kochuniform einen grünen Button mit der Aufschrift: „Taste not waste!“ tragen.
Ich hatte am Vortag einen weißhäutigen Manta bei den Korallenstöcke vorm Hotel vorbeihuschen zu sehen. Die schwarzhäutigen Mantas schwimmen außerhalb des Riffs und ihr graues „Fell“ fühlt sich weich an. Ein Fischer küsst einen Manta. Viele Menschen machen Unterwasserfotos, oder nehmen mit der Go-pro Kamera auf. Ein Italiener wechselt die Memorycard aus. Ich habe meine Erinnerung und ein paar Fotos Marguerites, die sie vom Schiff aus machte.
Der Nachmittag hält Enttäuschungen bereit: der versprochene Korallengarten hat zwar wieder vielfärbig-bunte Fische en masse, aber die Korallen sind tot. Nur die bunten Lippen der Steinmuscheln öffnen und schließen sich. Die Aufforderung das Vorhandene zu genießen ist leichter gesagt, als getan. Ich hatte Korallen erhofft, aber sie sind in 40 Jahren Tourismus verschwunden.
Leider werden wir nicht mit dem Boot zurückgebracht, sondern warten abends salzig und verschwitzt 25 Minuten auf den Reiseunternehmer. Aber wir kommen rechtzeitig zum Hafen, ich kaufe noch eine Muschelhälfte in der eine holzartige Masse ist um einen Dollar. Die Verkäuferin hat noch einen Zahn im Mund und sie schämt sich fast, dass sie für so etwas unnötiges, das die Kinder am Strand finden, Geld verlangt. Jetzt liegt die Muschel auf der Spiegeletagere in der Kabine.
Im Schwimmbecken auf Deck neun nehmen wir mit Andrea Bocellis Lied Partiro von der Südsee Abschied. Peter ist ausgestiegen und hat nach Abschluss aller Formalitäten gerufen haben: „Endlich frei!“ Frei wovon, oder wozu? Freier als am Schiff kann ich nicht sein: Essen, Schlafen, Unterhaltung, Sport – für alles ist gesorgt, sogar Wäsche wird gewaschen. Vor diesem Hintergrund fühle ich mich frei – mir selbst ausgeliefert, aber frei von äußeren Schwierigkeiten.