Aba, Daphne und ich

Man sagt, dass der Vater so wichtig ist. Dass man nicht ohne Vater aufwachsen soll und dass, wenn es doch geschieht, man selbst kein guter Vater werden kann. Mangels Vorbildes. Wie dem auch sei: ich hatte einen Vater und mit zirka Dreißig einen Psychoanalytiker adlerianischer Schule, Univ.-Prof. Dr. Walter Spiel. Beide haben mir vor allem gezeigt wie ich mein Leben nicht gestalten will.

 

Mein Vater: Aufgewachsen als Kind einer zerrütteten Ehe, die eigentlich 1917 völlig kaputt war. Einzelkind, von der Mutter verhätschelt, vom Vater negiert. Übergewichtig sein Leben lang (außer in seiner Militärzeit in Israel), Kind des erfolgreichen Geschäftsmanns Berthold Scheer, Besitzer eins großen Modegeschäfts in der Fasangasse in Wien Landstraße. 1938 von seinem Klassenkollegen Kurt Scheer, SA Mann der ersten Stunde, zum Straßenwaschen nach der Okkupation Österreichs geholt. Ausgewandert. Zwei Kriege: als englischer Soldat in der Royal Air Force bis 1945, als Jude in der israelischen Armee 1948, danach Busfahrer bei Drom Yehuda.
1954 Zurück nach Wien: Kälte, Einzug bei der Mutter Irma in Heiligenstädterstraße 163, 5. Stiege, Tür 7 – Unglück zu Hause. Freundin, spätere Ehefrau Elfriede, 1956 – bei Beginn der Beziehung war er 38, sie 16. Dann hatte ich einen fernen Vater, liebevoll, aber weit weg. Emotional verfolgt von meiner Großmutter Syska und juristisch von Großvater Oskar.

Mein Vater: Kartenschönschreiber – in der Familie immer unter seinem Wert gehandelt. Weder geschäftlich so gut wie sein Vater, nie so gut wie die Juden die auf dem Wirtschaftswunder wie auf einer Welle in den Reichtum schwammen. Wie etwa Jenö Eisenberger, KR Teller, oder Poldi Böhm

 

 

Verzweifelt sich auf Umstände ausredend, neue Geschäfte probierend – Kapperlverkauf als Generalvertreter in Österreich mit Besuchen in der Schweiz bei der Herstellungsfirma und – immer das große Wort des Dummen führend. So wie ich heute oft (und bilde mir ein es wäre nicht so). Unbescheiden, besserwisserisch und den anderen das Geschäft erklärend. Am besten war sicher noch die An- und Abfahrt in großen Autos, meist Volvo Estate – eben gelernter Busfahrer.

Brieferln an mich und Daphne schreibend: Besserwisserisch, liebevoll, unbeholfen.


 

Der Analytiker dasselbe: Walter Spiel – großer Mann: Vorstand der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, erste und einzige Klinik für das Fach, Zusatzfacheinführer, Senatssprecher. Mächtig, machtbesessen, trunkverliebt, sexuell verwahrlost. Fast wie Fritz Muliar – der Dritte im Bunde: sehr erfolgreich, der einzig echte Goi, der perfekt hebräisch beten konnte und sogar Thora lesen, seine Frau – erste Fernsehsprecherin des ORF – F. Kalmar immer betrügend, gern betrunken, besserwisserisch, aber erfolgreich. Vor der Bühne getragen worden.

 

Man sagt: man braucht einen Vater, um selbst Vater zu werden. Vielleicht, stimmt’s? Meine Väter waren widersprüchlich, ethisch schwere Vorbilder und so scheine ich auch geworden zu sein.