Tokio - der letzte Tag

 

 

Der letzte Urlaubstag vor der Reise war ein Shabbat. An sich sind Ruhe und Thoralernen vorgeschrieben, es ist der Ruhetag des Herrn. Wir begannen den Tag regelgerecht. Leider nicht ganz. Im Haus Channah gabs zwar „Frühstück“ – der Rebbe hatte dazu eingeladen und zum Thorastudium in der Früh, währenddessen man Löskaffee mit warmen Wasser das vor Shabbat in einem Kessel gerichtet werden musste, aufgießen konnte. Das wollte ich nicht: Mein Zucker spielt verrückt, wenn ich morgens Löskaffee mit kleinen, alten Mehlspeisen einnehme. Also gingen wir auf die Suche nach der vorletzten japanischen Suppe. Noah fand sie  - nach einigem Suchen – im Bahnhof. Sie war gut, schnell serviert und heiß. Warmes, salziges Wasser, Sojasauce, Fischmehl, Nudeln zuletzt garniert mit Frühlingszwiebel. Noah nimmt – wie jedes Mal – ein Stück gebratenes Huhn dazu und fragt mich, ob er das braucht. Meine Antwort ist Nein und sein Einwand, dass das Huhn hier besser und billiger ist als in Wien, entkräftet das nicht. Wir kamen nicht zum Sparen nach Japan, also müssen wir nicht essen, um danach zu sparen. Er kennt sich so gut aus in japanischer Küche, jetzt gesteht er warum. Er geht oft in japanische Restaurants essen und kann fast alle in Wien aufzählen und beurteilen. Sein liebstes Lokal hat er erfreulicherweise von mir. Es ist ein kleines Imbisslokal im 7. Bezirk. Nähere Informationen beim Verfasser oder Noah. Wie sich jedes Mal die Stimmung hebt, wenn wir gegessen haben. Besonders für Noah wird alles leichter, er ist fröhlich und hilfsbereit, kennt sich wieder aus, liest Pläne und führt uns sicher zum Zug – eine Station fahren wir bis zum Beten.
Das Morgengebet war fröhlich. Der Rebbe war viel besser gelaunt. Er war ausgeschlafen und erinnert sich an das, was er sagen wollte. Er machte seine „Punkte“ sehr gut, redet über die sechs Stunden, die das jüdische Volk nach Pharaos Befehl das Land zu verlassen, wartend  - auf G’ttes Befehl – in Ägypten verbringen musste. Er sagt, dass man in diesen sechs Stunden in denen man zur Reise gekleidet und gegürtet das Fleisch des Lamms ass mit dessen Blut die Türpfosten bestrichen wurden, um den Engel des Todes zu bestimmen an den Häusern der Israeliten vorüberzuziehen, dass dieses Warten der inneren Einkehr gedient habe und der Reflexion des unwiederholbaren Erlebnisses, das ER selbst uns aus der Sklaverei gerettet hat. Es ist der Moment von G’ttes Zusage an Sein Volk, das er auserwählt hat Sein Ethos in die Welt zu tragen. Deshalb mussten wir das Lamm ganz aufessen, denn es war ein Opfertier und nichts durfte in Ägypten bleiben. Ein Rest, so vorhanden, musste verbrannt werden. Diese Erklärung und auch die, dass G’tt sein Versprechen einlösen wollte, dass wir reich aus Ägypten ausziehen würden, führte zur Wartezeit. Der Rebbe zieht Parallelen zur heutigen Zeit, nämlich, dass es immer lohnt auf Seinen Befehl zu hören und dass wir das nicht nur aus Gehorsam machen, sondern auch aus Demut. Dann beteten wir und die Thora wurde ausgehoben. Da kein Kohen anwesend war, wäre ich als Erster aufgerufen worden. Ich übergab diese Ehre Noah, der das sehr gut machte und seine Familie segnete.
Das zweite Vormittagsgebet (Musaf) läuft sehr, sehr rund. Ich fürchte mich nicht mehr zu langsam zu sein, fühle mich in dieser Gemeinde im Keller wohl. Sogar der fünfjährige Bub des Rebben, der mich zum Spaß erschreckt als ich aus dem Klo komme, hat Kontakt mit mir aufgenommen. Er ist wie ein Wirtshauskind. Seine Eltern waren zwar, allerdings mit allen  Gästen anwesend, aber er muss sie mit allen teilen. Auch wenn seine Mutter bemüht ist, für ihn da zu sein, so ist sie Hausfrau, Großmutter und da selbst aus einer Chabadfamilie stammend, Ehefrau und Betende. Der Kleine sucht sich seinen Platz selbstsicher. Den Vater erwischt er einmal vor dem Gebet, setzt sich auf dessen Schoß, aber was zeigt ihm der: die Thorastelle des Tages und gehorsam liest der kleine Mann die erste Zeile.
Nach dem Gebet sitzen wir im 1. Stock zu Tisch. Es gibt dieselben Salate wie gestern Abend, noch immer gut. Der grüne Salat ist sogar frisch, dann Lachs aus dem Ofen und Tscholent, die Shabbatspeise des Ostjuden mit Reis. Alles sehr gut, dazu Wein, Talisker Whiskey trinken wir aus. Der Rebbe trinkt fast nichts.
Die beste Ansprache kommt von David, einem Filmemacher. Er erzählt, dass er das Judentum in Richtung Christentum verlassen habe, zwanzig Jahre war er Christ. Er kam zurück, weil es beim Christentum nichts Handfestes gäbe, wie zum Beispiel die Mazzot, die wir zu Pessach essen. Ich kann mich nicht halten und rufe ungehörig hinaus, ob ihm das Blut und der Leib Christi nicht handfest genug gewesen wären. Das unterbricht seine anmutige Rede nicht. Er wischt den Einwand weg. Denn er will zu seinem Schlussliedchen kommen das sich wie ein Commercial anhört, ja, er singt’s: etwas das sich auf Chabad reimt und die Spendenfreudigkeit der Anwesenden anregen soll.
Wir gehen diesmal vor dem Tischgebet. Noah sagt auf der Straße, dass er, wenn wir jetzt den vorgesehenen Nachmittagsschlaf machten, verrückt würde. Er will Tokio sehen, ein Mitbringsel für seine Frau kaufen. Wir fahren also nach Roppinga Hill. Dort kriegen wir in einem Kaffee Renoir Wiener Kaffee mit Schlagobers. Wir sitzen im Raucherraum. Als wir aber eine Zigarette anzünden, steht unser Nachbar wütend auf und geht! Der Raum ist nur für E-Zigaretten zugelassen für die an den Wänden und am Tisch Werbung gemacht wird. „Echte“ Raucher müssen in den Raucherraum, wir wussten das nicht. Man kann sich als Ausländer in Japan nie richtig verhalten.
Die Ausstellung eines Komiklabors findet am 53. Stock eines benachbarten Hochhauses statt, in der Aussichtsplattform. Ich weiß nicht was interessanter war: Noah zeigt mir, dass man kein Ende Tokios sieht, Lebensraum für 37 Millionen Menschen. Wir sehen Hochhäuser in jedem der Stadtteile, die wie Berge inmitten des Meers an Häusern emporragen, den Hafen, die Bucht, Autobahnen, die übereinander angelegt sind, zwei Parks und Shintoschreine, einen riesigen Friedhof und das Olympiastadion, das wie ein UFO aussieht. Wie ein Suppenteller mit Deckel.
Noah sucht Mitbringsel, Souvenirs. Wir finden nichts. Als wir es schon aufgegeben haben, betreten wir doch noch ein Wäschegeschäft, in dem die Handtücher so weich sind, dass wir sie uns umlegen wollen. Wir werden von einer entzückende Verkäuferin bedient. Sie ist etwa Mitte vierzig, und quittiert unsere Scherze mit einem Lächeln. Zwei Bademäntel werden für Jenny gekauft. Ich nehme für Marguerite ein paar Patschen, die ihr sicher nicht passen werden (was auch stimmte – ihre Schwester hat sie bekommen.) Überdies ein kleines Tuch mit Spielzeug und Klingel für meinen jüngsten Enkel David und ein Tüchlein für meinen Freund Dieter auf das ein Fahrrad gestickt ist.
Schwerbepackt kommen wir ins Hotel, nicht ohne vorher viele Restaurants gesucht, gesehen und verworfen zu haben. Ich mag die abgekämpften Touristen nicht, die verschwitzt von einem zum anderen Restaurant ziehen, um sich ums Abendessen umzusehen. Dann sitzen sie neben ausgeruht wirkenden, perfekt für den Abend gekleideten Menschen und man weiß, ihr Hotel war zu weit weg, um sich frisch zu machen. Also gehen wir ins Hotel, baden und ziehen uns dann doch dasselbe wie morgens an. Noah hat in einem Lokal mit offenem Holzkohlengrill reserviert, dort stinkt’s immer. Wir finden es, es ist von mäßiger Qualität, die Hühnerflügel riechen streng. Noah findet sie einfach verhaut. Die zwei Köche schauen angewidert, das Lokal ist zu Recht halbvoll, wir gehen bald, vielleicht zu spät. An sich wäre es kein Fehler ins Hotel zurückzugehen, aber so können wir nicht enden. Also gehen wir ins Lokal, das ich vom Taxi aus gesehen und vorgeschlagen habe: Gyozatraum im 3. Stock. Es riecht so gut wie es von außen aussah, die Kellnerin empfängt und mit dem Satz das in 20 Minuten Ende der Bestellung sei (last order). Also bestellen wir – satt wie wir sind – zu viel und sind begeistert. Warme Sake, die hier Shogun heißt, wird serviert, wir rauchen im Raum am Gang. Dann geht’s nach Hause – morgen ist Abfahrt.
Es ist wunderbar einen Sohn zu haben, der mir schimpfend beim Packen hilft. Ich finde mein langärmliges, warmes Monari T-Shirt nicht, bis verzweifelt, aber packe trotzdem. Es muss im Raum sein, wir beide wissen das. Er findet’s nachdem ich meinen kleinen Koffer schon geschlossen habe, er bringt fast alles hinein. Es war ein lustiges Zusammenleben, es wird mir fehlen. Auf den Fotos, die wir wehmütig anschauen, hat Noah eine Sammlung von Bildern gemacht auf denen ich im Zug, Bus, Flugzeug schlafe. Er hat sich für die Fotos ebenfalls schlafend gestellt. Darauf ähnle ich meiner Mutter so sehr, dass wir beschließen sie eigentlich mitgehabt zu haben. Auch nicht schlecht.
Später beginnt es sehr stark zu regnen, was wir im 23. Stock hören und sehen. Welches Glück: 13 Tage Sonnenschein und Regen zur Abfahrt.
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