Osaka - der regnerische Tag

Genug der Strafe, dass wir nicht nach Yokoshima gefahren sind! Osaka empfängt uns mit Nieselregen, Noah schläft bis Mittag. Er hat sich noch einen Film auf Netflix angesehen, ich habe ihn bewundert, wie er den Fernseher mit seinem Handy und seinem Account verbunden hat. Dann schlief ich sofort ein, als Letztes hörte ich Noahs höhnisches Lachen. Ich korrigiere wie jeden Tag meinen kleinen Text am Morgen, trinke aber keinen Tee, um meinen Schläfer nicht zu wecken. Wozu – was sollen wir im Regen schon machen? Yokoshima nachtrauern, wo wir jetzt im sonnengewärmten Wald gingen. Im Zimmer ist es kalt, der Regen schlägt an die große Scheibe, gut, dass wir langsam nach Hause fahren.

 

Um 12 Uhr geht’s zum Frühstück. Tourismusoptionen haben wir – niemanden wunderts – fallen gelassen. Das Schloss das in allen Reiseführern als Attraktion angepriesen wird, ist nach 1960 wieder errichtet worden in den Neunzigerjahren wurde ein Lift eingebaut. Solche Dinge schaue ich mir lieber in Disneyworld an – da weiß ich, dass es Nachbildungen sind und ärgere mich nicht. Auf zur Morgensuppe, da können wir uns am besten besprechen. Leider bin ich zu ungeduldig. Noah hat auf Google Maps ein Lokal mit einer besseren Bewertung rausgesucht, aber ich gehe in eines das mir gefällt. Er schimpft nur wenig.
Wir besuchen den Fischmarkt: der eigentliche Fischverkauf findet am Großmarkt statt, der längst geschlossen hat. Was wir erleben, ist eine Ansammlung von Imbissstuben und Street Food, statt einem Markt. Vereinzelt gibt’s noch Verkaufsstandeln die Obst, Nachspeisen oder Fische und Meerestiere anbieten. Eine alte Frau mit einem Einkaufswagerl kauft dort kleine Fische ein. Es muss ihr Markt sein, den sie noch aus der Zeit kennt, als es wirklich ein Markt war und keine Attraktion. Eine Gruppe US-Amerikaner trinkt in dem kleinsten Raum einer Imbissstube. 9 Personen sind mit drei Fremdenführern unterwegs. Sie trinken Bier und Sake, vorher haben sie gegessen. Vor dem Lokal sind Fische und Meeresfrüchte auf Eis ausgelegt. Ich möchte endlich meinen Hummer, Noah ist gütig – er wird Thunfischsashimi essen. Die Amerikaner machen Fotos mit dem Personal das verkleidet ist. Da sie angeheitert sind, lachen wir alle. Noah macht ein Foto der Amis und ich fotographiere ihn dabei. Ich freue mich, dass er so anschlussfähig ist. Die Menschen mögen ihn.
Beim Verlassen des Markts sehen wir in ein echt japanisches Nobelrestaurant, das man am Holzvorbau erkennen kann. Durchs Fenster sehen wir einen Künstler als Sushikoch. Er nimmt den Reis so geschickt mit seiner weichen Hand, dass sich der Reis wie von selbst zu einem Halbrund formt. Mit der Spitze des rechten Zeigefingers leckt er einen Hauch Wasabi aus dem bereitstehenden Schälchen und vermählt das mit dem perfekt zugerichteten und eingeschnittenen Fischfilet. Später werden wir sehen, wie er den Kopf eines Oktopusses so fein einschneidet, dass aus dem festen, fast knorpeligen Stück Fleisch ein weiches, anschmiegsames Schnitzelchen wird. Wir sind zwar nicht mehr hungrig, aber das müssen wir erleben. Experience, wie Noah sagt.
Es war herrlich: eine vorher nie gekannte Qualität der Speisen, dazu warmen Sake. Wie Noah sagte: „Für japanisches Essen in Österreich sind wir nun verloren!“ Überdies noch mehr als preiswert, vielleicht 30% von dem, was wir zu Hause zahlen würden. Allerdings müssen wir um 19 wieder gehen, unsere Plätze an der Schank, die Aussichtsplätze, sind fürs Abendessen reserviert. Neben uns kommt um ¾ 7 ein Paar zu sitzen: er ein japanischer Intellektueller, nicht arm, sie mit Fingernägeln auf denen kleine Figürchen geklebt wurden. Sie ist perfekt geschminkt und gekleidet: hellbeiges Kleid, das Haar mittelbraun halblang, völlig passend zu Kleid und Rouge, hellroten Lippenstift kontrastiert im schönen, ovalen Gesicht. Die gepflegten Augenbrauen erzeugen zur Stirn hin einen ellipsoiden Schwung und die getuschten Wimpern sind mit Mascara verstärkt und nach oben gebogen. Nie berührt ein Bissen ihre Lippen, diese werden weit geöffnet, wenn sich die Stäbchen ihrem Gesicht nähern. Sie essen, wie es sich scheinbar gehört: beide bekommen das jeweils gleiche Stück Sushi vorgelegt. Der Koch wartet, bis sie das Vorgelegte gegessen haben, bereitet inzwischen den nächsten Bissen vor und legt ihnen dann den frischen Bissen auf die Tonplatte vor ihnen. Sie essen nicht so wie wir es machen, die die Anregungen von den andren Gästen kopieren. So wie zum Beispiel sehen wir bei einem Paar in der hintersten Ecke wie sie etwas bekommen, das 10 Minuten im Dampfgarer gekocht wurde und bestellen dasselbe. Es handelte sich um einen Eiweißpudding mit Pilzen – sehr überraschend, weil das Eiweiß noch etwas flüssig war und die japanischen Pilze salzig. Noah kann solches Gelabber nicht essen, ich finde es interessant. Als es Zeit wird auszubrechen sind wir um eine Erfahrung reicher. Jetzt bin ich braver, nun sind wir ziel- und nicht mehr wegorientiert, daher folge ich Noah ohne Widerspruch. Er hat eine Bar im Netz gefunden, die ganz spezielle Drinks servieren soll, also nichts wie hin: Der Chef ist ein Mann meines Alters in der perfekten Uniform eines Barmanns der Hollywoodfilme der sechziger Jahre. Er begrüßt uns herzlich am Eingang. Die Bar besteht aus einem langen Stück Teakholz, die Wand dahinter besteht aus Teakholzregalen gefüllt mit altem japanischen Whiskey. In der Getränkekarte werden Drinks angeboten. Noah testet den Sohn des Besitzers, der der eigentliche Barmann ist, mit einem offensichtlich sehr raren Drink: Porn Star Martini, den er selbstverständlich bekommt. Es handelt sich um einen Drink in einem Coktailglas mit zwei verschlungenen Stielen, dazu wird ein Kristallgläschen mit 50ml Champagner gereicht. Noah gießt diesen in den Drink, der aus Wodka und Passionsfrucht besteht.
Einem anderen Gast serviert der Chef einen Daiquiri, der mit Stickstoffgas zu Eis wird. Er zerstampft frische Erdbeeren in einem starken Limoglas mit einer stilisierten Rebe. Dann gibt er Wodka und Erdbeersirup hinzu. Die Stickstoffbombe wird von seiner Frau entlang der Bar gebracht. Nun wird das Gemisch in eine große Aluminiumschüssel gegeben und mit flüssigem Stickstoff unter ständigem Rühren zu Eis gemacht. Das wird dann in eine Tüte gefüllt. Elegant wird es der Dame übergeben. Wir haben alles miterlebt und ich war irgendwie zu feig, wollte keine Umstände machen – FOMO, wir haben es nicht bestellt. Es war schön zuzusehen und ich wollte nicht gutschmeckenden Zucker nehmen. Blöde Diät. Es brauchte Unmengen an Geschirr und Töpfen, die von den beiden Frauen der Barfrau gewaschen werden mussten. Auch komisch. Alles war Bühne, alles Schauspiel. Das ist für mich Kultur. Nicht Museen und nachgebaute Schlösser, sondern die Besonderheiten des Lebens, soweit wir sie sehen dürfen. Das ist ohnehin nur sehr eingeschränkt, weil wir als Touristen diese Gesellschaft bestenfalls an ihren Rändern kennen lernen. Das meiste bleibt uns verborgen. Aber weinigsten das wollen wir erleben. Das „Wort“ der Reise ist Noahs: Expirience!
Wir kennen bereits den Ablauf des Abends der Bevölkerung: zuerst Shopping, dann essen und einige wenige bleiben in den Karaokabars oder den Bars vor denen Mädchen stehen, die Schilder tragen auf denen die Preise für sechzig oder neunzig Minuten angegeben sind. Was in diesen Minuten mit den meist als Schulmädchen verkleideten Frauen passiert, werden wir nie wissen. Man spricht uns nicht an, weder die Vermittler, die überall herumstehen, noch die Türwächter, noch die älteren Frauen, die japanische Männer ansprechen. Wir sind‘s zufrieden und nehmen ein Taxi zum Hotel. Was haben wir heute erlebt, gesehen, gemacht? Haben wir unsere Pflichten als Touristen erfüllt? Haben wir Osaka gesehen, erkundet? Was war heute besonders?
Als wir um 15 Uhr aus einem Kaffeehaus kamen, gingen vier Volkschülerinnen an uns vorbei zur U-Bahn-Station. Sie waren in Schuluniform mit klassischen englischen Hüten gekleidet, eine Jede etwa 110 Zentimeter groß. Die Letzte dreht sich um. Sie sucht die fünfte. Als die angerannt kam, schrie sie auf und rannte weg. Ist das Osaka erlebt haben? Kennen wir die Menschen oder erfreuen wir uns eher an unserer zunehmenden Kompetenz im U-bahnfahren, im Bedienen der Ein- und Ausgänge? Noah hat das lokale Dankeschön gelernt: Onini, sagt es überall und bekommt dafür jeweils ein Lächeln. Vielleicht heißt das auch was anderes, jedenfalls wird über den großen Ausländer gelächelt, der was Japanisches sagt. Kennen wir uns daher aus? Keineswegs, wir sind wie in einem Film, als ob wir auf die Leinwand gehüpft wären. Leider werden wir diesen Film bald verlassen, wie alles. Es ist geruhsam die vergehende Zeit zu erleben. Auf den vielen Fotos auf denen mich Noah schlafend aufgenommen hat, schaue ich sehr alt aus. Auf den Wanderfotos jugendlich. Beides stimmt für mich, beides bin ich. Wie schön beides sein zu können und mit jemandem zu reisen, der mich nicht eklig findet, sondern sagt, dass die Quality-time mit seinem Vater schön ist und dass er als Jüngster nicht so viel Vater hatte und auch später nicht haben wird.
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